Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

Vierter Abschnitt. 
Verfassungsmäßiges Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. 
§ 20. Gesetzgebung und Bewilligung. Der König mit seiner unmittelbaren Ge- 
hilfenschaft, dem Ministerium, stellt die oberste Leitung der Staatsgeschäfte, die Re- 
gierung dar. Der Landtag, welcher dieser Regierung als die Volksvertretung gegenüber- 
steht, hat seine rechtliche Bedeutung vor allem darin, daß die Rechtmäßigkeit gewisser 
Maßregeln der Regierung bedingt ist von seiner Zustimmung. Die Tragweite dieser 
Bedingtheit ist aber eine verschiedene und danach werden unterschieden Gesetz- 
gebungs= und Bewilligungssachen:) 
I. Verf.-Urk. § 86 bestimmt: „Kein Gesetz kann ohne Zustimmung 
der Stände erlassen, abgeändert oder authentisch interpre- 
tiert werden“. 
Der Regierungsentwurf hatte nach dem Vorbilde der Bayerischen und Badischen Ver- 
fassung eine genaue Beschreibung zu geben gesucht, was unter einem solchen Gesetze zu 
verstehen sei. Die Stände haben dieses — wie wir jetzt aus Erfahrung wissen, zu allerlei 
Schwierigkeiten führende — Experiment abgelehnt und dafür den einfacheren Text vor- 
geschlagen, der jetzt gilt. Er entspricht der Württembergischen Verf.-Urk. & 88.2) 
Der Begriff des Gesetzes ist in allen Verfassungsurkunden als ein gegebener voraus- 
gesetzt: es konnte sich nach der alten Staatsrechtslehre immer nur handeln um vom Staate 
zu schaffende Rechtsnormen. Dafür wird jetzt durch die Verfassung eine neue Form vor- 
geschrieben, in welcher sie zustande kommen sollen. Sobald das aber einmal eingerichtet 
ist, kann es nicht ausbleiben, daß nun jede staatliche Willensäußerung, die in dieser ver- 
fassungsmäßigen Form ergeht, schlechthin und ohne Rücksicht auf ihren Inhalt Gesetz ge- 
1) Verf.-Urk. § 131 stellt den „Gesetzgebungs= und Bewilligungsgegenständen“, für die es 
eines übereinstimmenden Beschlusses beider Kammern bedarf, die „bloßen Beratungsgegenstände“ 
gegenüber, die jede Kammer auch für sich allein erledigen kann. Das letztere sind Meinungs- 
äußerungen ohne eigene rechtliche Wirkung. Diese ganze Einteilung bezieht sich ursprünglich nur 
auf die Behandlung von Regierungsvorlagen und das dazu gehörige Vereinigungsverfahren. 
Rechtlich sehr bedeutsame Beschlüsse der Kammern, durch welche sie von freien Stücken vorgehen, 
wie Petitionen, Beschwerden, Ministeranklagen, fallen nicht in diesen Rahmen. Vgl. oben F 18 
Note 18 und unten 26. 
2) Landt.-Akten 1831 Bd. IV S. 1797, S. 2259. Der Entwurf § 100 lautete: „Kein Gesetz, 
welches die Verf.-Urk. ergänzt, erläutert oder abändert, neue über die Freiheit der Personen und 
über das Eigentum der Staatsangehörigen gebietende oder sonst allgemeine Verpflichtungen 
gegen den Staat enthaltende Vorschriften erteilt, oder endlich die bestehenden Gesetze dieser Art 
abändert oder authentisch interpretiert, kann ohne Zustimmung beider Kammern ergehen.“ Vgl. 
Bayr. Verf.-Urk. Tit. VII & 2, Bad. Verf.-Urk. 64 u. § 65.
	        
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