Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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Eine solche Wechselwirkung zwischen bewußter und unbewußter 
Gestaltung eines Sagenstoffes läßt sich recht hübsch an dem Ver- 
hältnis der „langen Schicht zu Ehrenfriedersdorf“ (Nr. 1250) 
und dem „Bergmann von Falun“ erkennen, das neuerdings 
wiederholt der Gegenstand literargeschichtlicher Untersuchung ge- 
wesen ist. Denn solchen Stoffen gegenüber wird die Sagen- 
forschung zur Literaturgeschichte. Diese Sagen bilden den Mieder- 
schlag gewisser literarischer Strömungen im Volke. Aus der Art, 
wie sie das ursprüngliche Erzeugnis der Volksseele umprägen 
und sich dann wieder in der Masse verbreiten, gewinnt ferner 
der Sagenforscher schätzbare Parallelen zu tieferem Eindringen 
in das ältere Sagenmaterial. Solche literarische Sagen aus einer 
Sammlung wie die vorliegende auszuschließen, wäre also ein 
schweres Unrecht. Sie sind hier als romantische Sagen bezeichnet, 
weil der Einfluß der BRomantik auf die Mehrzahl unter ihnen 
unverkennbar ist. 
JIch habe früher einmal (Mitteilungen des Vereins für 
Sächsische Bolkskunde, Bd. 1, Heft 2, S. 7 ff.) die eigentliche 
Volkssage dem Volksliede im engeren Sinne zur Seite gestellt, 
mit dem volkstümlichen Liede aber die volksmäßige Sagen- 
dichtung verglichen. Letztere muß jedoch die Kennzeichen echter 
Volkssage aufweisen. Entspricht das literarische Erzeugnis dieser 
Forderung nicht, dann freilich ist es als „unecht“ aus einer 
Sagensammlung zu verbannen. 
Der Versuch einer derartigen Scheidung sollte nicht als Ver- 
messenheit angesehen werden, wenn auch zuzugeben ist, daß eine 
untrügliche Methode, echte und unechte Sagen auseinander- 
zuhalten, nicht besteht. Doch gibt es einige Kriterien. Das oberste 
Kennzeichen der Volkssage ist Schlichtheit. Ihr eignen heine ver- 
wichkelten Situationen, und alles Gekünstelte liegt ihr fern. Eine 
reiche Nomenklatur muß sofort den Verdacht bewußter Sagen- 
erfindung wecken. In dieser Hinsicht sind sehr lehrreich die beiden 
in meinem Sagenbuche der Sächsischen Schweiz einander gegen- 
übergestellten Sagen von dem Ursprunge des Namens Schandau 
(d. a. O., Nr. 86 und 87). Es sollte eigentlich Kkeiner Erörterung
	        
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