Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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die Erlaubnis, jederzeit, selbst unangemeldet, an der königlichen 
Tafel speisen zu dürfen. Davon machte er auch oft Gebrauch. Um 
11 Uhr vormittags fuhr er mit seinem Geschirr in Groß-Särchen 
ab, und Punkt 12 Uhr war er im Böniglichen Schlosse zu Dresden. 
Die tolle Fahrt ging über Kamenz und Königsbrüch. Im Laufe 
der Zeit fand der Günstling, welcher für einflußreicher als der erste 
Minister galt, auch seine Aeider. Unter denselben waren zwölf 
Würdenträger, die sich besonders zurückgesetzt fühlten. Ihr Groll 
richtete sich jedoch weniger gegen die harmlose Person des Bevor- 
zugten, als gegen den König selber. Sie verschworen sich, den 
letzteren zu vergiften und zwar mittels einer Tasse Tee. Man 
wollte dann das Gerücht verbreiten, Majestät sei an einem Schlag- 
flusse plötzlich verschieden. Krabat erkannte daheim in Groß-Särchen 
die hochverräterischen Anschläge, auch die Persönlichkeiten der Ver- 
schworenen und die verabredete Zeit des Verbrechens. Das alles 
verriet ihm sein Zauberspiegel aus Erz. Höchste Eile tat not, denn 
am nämlichen Abende sollte der Königsmord geschehen. Schnell 
ließ er anspannen. „Diesmal werde ich selber fahren,“ bedeutete 
er den Kutscher, „setze dich hinein in den Wagen. In einer halben 
Stunde muß ich beim Könige sein.“ Aun ging es pfeilgeschwind 
hinaus in die dunkle Herbstnacht. Vor dem Dorfe verstummte 
plötzlich das Rasseln der Räder. Lautlos erhoben sich Rosse und 
Wagen in die Lüfte. Untätig auf den ungewohnten weichen Polstern 
sitzend, schlief der Kutscher ein und erwachte erst, als die Fahrt mit 
einem gewaltigen Ruck unterbrochen wurde. Er rief: „Wir sind 
gewiß auf einen großen Rainstein aufgefahren!“ und wollte aus- 
steigen, um das Geschirr wieder flott zu machen. Krabat aber ge- 
bot ihm, sitzen zu bleiben. Er befreite den Wagen, welcher an der 
Kamenzer Kirchturmspitze hängen geblieben war, selber von dem 
Hemmnis. (Die eiserne Wetterfahnenstange der Kirche zu Kamenz, 
nach anderer Erzählung die Kirchturmspitze selbst, soll seit jenem 
Vorfalle bis auf den heutigen Tag etwas verbogen sein. Etwas 
abweichend erzählt diese Begebenheit Gräße, Bd. Il, Nr. 841 vom 
General Sybilski.) Aoch vor dem entscheidenden Augenblicke trifft 
Krabat am Dresdener Hofe ein. Das Souper hat bereits begonnen. 
Schon hält der König die Tasse mit dem Gifttranke in der Hand. 
Da stürzt Krabat herein und bittet Moajestät, nicht zu trinken; der 
Mundschenk möge zuvor von dem Tee genießen. Der König wider-
	        
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