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Staatsrechtswissenschaft verworfen. Man hat erkannt, daß die drei
Gewalten nur die verschiedenen Äußerungen des einen, an sich un—
geteilten Staatswillens sind, und daß ihre Gebiete vielfach ineinander
übergreifen. „Vollständige Trennung der Gewalten,“ sagt Bluntschlit,
„wäre Auflösung der Staatseinheit und Zerreißung des Staatskörpers.“
Unter Berücksichtigung aber der sich hiernach ergebenden Modifikationen
kann man immerhin noch jetzt von einer fast überall wenigstens in
den Hauptlinien bestehenden Trennung der drei Gewalten sprechen."
Was nun speciell die richterliche Gewalt anbetrifft, so ist in
Hamburg die principielle Trennung der Justiz von der Verwaltung
(der vollziehenden Gewalt) erst seit der neuen Verfassung nach allen
Richtungen hin durchgeführt. Die Gerichte sind, soweit der materielle
Inhalt ihrer Entscheidungen, die ihnen obliegende Anwendung der
allgemeinen Gesetze auf den ihnen vorliegenden einzelnen Fall in Frage
kommt, von der Verwaltung oder Regierung unabhängig. Der Senat
kann weder ihre Entscheidungen beeinflussen, abändern oder aufheben,
noch die ordnungsmäßige — jetzt durch die Reichsprozeßgesetze für ganz
Deutschland übereinstimmend geregelte — Vollstreckung hemmen oder
verhindern. Dagegen steht dem Senat als dem Inhaber der voll-
ziehenden Gewalt und der obersten Verwaltungsbehörde nach Art. 19
der Verfassung nicht nur die Aufsicht über sämtliche Zweige der Ver-
waltung, sondern auch die Oberaufsicht über sämtliche Justizjbehörden
zu, d. h. er hat den Geschäftsgang der Gerichte und die äußerlich
ordnungsmäßige Erledigung ihrer Obliegenheiten zu überwachen.
Außerdem steht ihm nach der revidierten Verfassung von 1879 auch
die Ernennung der Richter zu.
Die richterliche Gewalt ist somit immerhin in gewisser Beziehung
von der vollziehenden abhängig und dieser untergeordnet. über den
Gerichten stehen, unbeschadet der materiellen Unabhängigkeit der
Rechtsprechung, die vom Senat ressortierende Justizuerwaltung und der
Senat. Die gesamte Justiz ist ja überhaupt im Grunde nur ein
Zweig der Verwaltung, dem mit Rückjicht auf die als notwendig er—-
kannte Unabhängigkeit der zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten
1 Bluntschli, Allgem. Staatslehre, 5. Aufl., S. 589.
Sarwey, Allgem. Verwaltungsrecht, in Marquardsen's Handbuch des
öffentlichen Rechts, Bd. 1, Halbband 2, S. 20 f.
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