Schäfer: Weltlage und Kriegsursachen
Afrika an verschiedenen Stellen seinen Festlands- und
Inselbesitz zu mehren, neuen zu begründen. Überall
begegnete es der Eifersüchtelei, auch direktem Wider-
spruch Englands. Das hat sich gegenüber dem groß-
zue igen und erfolgreichen Streben der dritten Repu-
ik nach Kolonien noch gesteigert. Die Besefun
Agyptens durch England (1882) ward in Fran reich
als eine grobe Verletzung französischer berechtigter
Ansprüche empfunden; denn Frankreich war es ge-
wesen, das dieses Land europäischer Zivilisation zu-
geführt, es europäischem Einfluß geöffnet hatte. Fürst
Bismarckhatdieses englisch-französische Verhältnis bei
Deutschlands ersten kolonialen Versuchen als Stütze
benutzt. Er hat Frankreichs Bestrebungen nach er-
weiterter überseeischer Macht trotz der fortdauernden
französischen Revanchelust mehr gefördert als gehin-
dert. Im Verein mit der Republik hat er England
1884 auf die Kongo-Konferenz nach Berlin genötigt
und ihm die Anerkennung des Kongostaats sowie
eines ausgedehnten Freihandelsgebiets in Mittel-
afrika abgerungen.
Diese Voliri ist unter seinem Nachfolger nicht fest-
gehalten worden. Bei der Abgrenzung Kameruns
Pegenüber der neuen englischen Kolonie Nigeria hat
eutschland ausdrücklich verzichtet auf das gesamte
obere Nilgebiet. Es war ein Verzicht, der im Grunde
genommen gegenstandslos war, da Deutschland auf
dieses Gebiet niemals Anspruch erhoben, seinem An-
recht an Uganda, das allenfalls dazu gerechnet wer-
den konnte, schon 1890 bei der Abgrenzung des deut-
schen gegen das britische Ostafrika entsagt hatte. Wohl
aber Rolten die Franzosen dieses Gebiet, das völker-
rechtlich als ein Teil Agyptens angesehen wurde, in
ihre kolonialen Berechnungen einbezogen. Damals
war Chartum, nahe dem Zusammenflusse des Blauen
und Weißen Nils, von den Engländern noch nicht
wieder erobert worden. Indem der deutsch-englische
Vertrag Deutschland für das zwischen Kamerun und
dem Nilgebiet liegende Land ausdrücklich auf Aus-
einandersetzung mit Frankreich verwies, schob er die
Interessengegensätze dieser beiden Mächte in den Vor-
dergrund zu einer *7 in der ihr gemeinsames Inter-
esse gegen weitere Ausbreitung Englands vor allem
hätte bedacht und verfolgt werden sollen.
Es waren Jahre, in denen Deutschlands Politik
eine unverkennbare Hinneigung zu England zeigte und
sie auf seine Haltung sowohl gegen Frankreich wie
gegen Rußland, die überlieferten Gegner Englands,
einwirken ließ. Sie ist nicht unentwegt festgehalten
worden. In den Streitigkeiten der Engländer mit den
Buren trat das amtliche Deutschland zunächst beim
Jameson-Einfall auf die Seite der Buren, später auf
die der Briten. Im September 1898 kam zwischen
beiden Mächten eine Vereinbarung über etwaige Liqui-
dation des portugiesischen Kolonialbesitzes in Süd-
afrika mustande, die es England ermöglichte, in den
nächsten Jahren die Selbständigkeit der Burenstaaten
zu brechen und so zur fast vollständigen Herrschaft
über Südafrika und vor allem über seine Golddistrikte
8 gelangen. Ziemtlich gleichzeitig mit dieser Verein-
arung gewann Kitchener Pascha Chartum zurück,
während der Franzose Marchand Faschoda am oberen
Nil besetzte. Der Streit zwischen Frankreich und Eng-
land schien zu entbrennen an einem Punkte, wo ihre
Gegnerschaft am schärfsten war. Aber Frankreich fand
sich allein und zog sich zurück. Ohne die mit Eng-
land getroffenen Verabredungen wäre Deutschland
wohl in der Lage gewesen, dessen afrikanische Politik,
Der Krieg 1914/16 1.
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die in dem Schlagworte = Vom Kap bis Kairo= ihren
Ausdruck fand, im Verein mit Frankreich und Ruß-
land zu durchkreuzen. Irgendwelchen nennenswer-
ten Vorteil hat es von dem Portugal betreffenden
Übereinkommen nicht gehabt. Wohl aber hat Eng-
land dieses mit Erfolg als Köder benutzt, mit dem es
die deutsche Politik lange, ja bis unmittelbar vor Aus-
bruch des gegenwärtigen Krieges hinter sich hergezogen
hat, und ihn zugleich verwertet, um an geeigneten
Stellen Stimmung zu machen gegen das ländergie-
rige Deutschland.
VI. Zusammenschlußf der Mächte.
Der Tod der Königin Viktoria brachte im Januar
1901 in Eduard VII. einen Mann an die Spie des
Britischen Reiches, der auf dessen auswärtige Politik
einen Einfluß geübt hat wie kein König seit den Tagen
Wilhelms I. Er hat diesen Einfluß in keiner Rich-
tung so nachdrücklich betätigt wie in der einer aus-
geprochenen Gegnerschaft gegen das Deutsche Reich.
ie Geschichte wird vielleicht einmal in der Lage sein
festzustellen, wie weit hier persönliche Abneigung und
Verstimmungen eine Rolle spielten; in der Hauptsache
vertrat der König, den man nicht unzutreffend mit
Shakespeares Heinrich V. verglichen hat, politische An-
schauungen, die in seinem Volke weit verbreitet waren,
ja, von denen man sagen kann, daß sie dessen Grund-
stimmung ausmachten. Man war beherrscht von
Eifersucht auf das wirtschaftliche Emporblühen des
deutschen Volkes; weit verbreitet war die Befürch-
tung, daß man im Welthandel überflügelt, England
auf die zweite Stelle werde herabgedrückt werden.
Die deutsche Flottenvermehrung, die mit dem Jahre
1897 einsetzte, verschärfte diese Stimmung. Allge-
mein sah man in ihr eine Bedrohung, glaubte um
der eigenen Sicherheit willen gewaltigster Gegen-
rüstungen zu bedürfen und — starker Bündnisse. Eng-
land ward Mittler und Führer aller Feinde Deussch-
lands. 6%
Es gelang leicht, sich Frankreich zuzugesellen. 1904
beseitigte ein Abkommen fast alle großen und kleinen
Differenzen, die auf dem weiten Erdenrund zwischen
den beiden Mächten schwebten. Vor allem ließ Frank-
reich dem neuen Partner freie Hand in Agypten und
erhielt dafür das gleiche Zugeständnis für Marokko.
Die Verständigung ist dann enger und enger gewor-
den und zuletzt zur Verabredung gemeinsamer kriege-
rischer Maßnahmen gelangt. gland rüstete eine
Armee zum Zusammenwirken mit der französischen
diesseits des Kanals; es zog von der Mittelmeerflotte
seine Kampfschiffe in die heimischen Gewässer zurück
und überließ den Schutz seiner Mittelmeerinteressen
Frankreich. Es war damit gegeben, daß es selbst die
Deckung der französischen Ozean- und Kanalküsten
gegen die deutsche Flotte übernahm. Die Annähe-
rung ward erleichtert durch Deutschlands Einspruch
gegen die französischen Marokkobestrebungen. An
der Seine sah man in der vollen Beherrschung Nord-
afrikas vom Golf von Gabes bis zum Atlantischen
Ozean eine Lebensfrage für Frankreich; nie waren
seit 1871 die Wogen der Erregung gegen Deutschland
so hoch gegangen wie 1905 und 1911 nach Tanger
und Agadir.
Drei Jahre nach der Verständigung mit Frank.
reich erreichte Eduard VII. auch die mit Rußland.
So lange hatte der russtschrenglische Gegensatz in
Asien als Axiom aller Weltpolitik gegolten; er machte
jetzt einem gemeinsamen Vorgehen in alen vorder-