— 28 —
jedesmaligen Abstimmung des Parlamentes in jedem Jahre abhängt, daß die
Hälfte der Armee entlassen werden kann, daß die Armee reduzirt werden
kann auf den einjährigen Dienst, auf das, was die Sozialdemokraten noch
bewilligen — es ist ja auch eine sozialdemokratische Majorität in diesem
Hause möglich —. Es kann unmöglich der Wille der deutschen Nation sein,
daß fie auf diese Weise in ihrer Wehrhaftigkeit, in der Sicherheit im eigenen
Heere abhängig sein soll von den jedes Jahr wechselnden Majoritäten des
Parlaments. Es liegt das ganz außerhalb der Verfassung, und die ver—
bündeten Regierungen wünschen zu einem neuen Kompromiß zu gelangen,
aber zu einem siebenjährigen, zu keinem kürzeren. Wir wollen die Krisen
und die Gefahr der Konflikte nicht häufen, und wir wollen den Gedanken
nicht aufkommen lassen, als wären Sie überhaupt berechtigt, einseitig ohne
die Mitwirkung des Bundesraths und des Kaisers über den Bestand des
deutschen Heeres zu verfügen. Gegen diesen Gedanken allein würden wir
schon an die Wähler appelliren, ob dies der Wille des Volkes ist; und die
verbündeten Regierungen sind ihrerseits entschlossen, mit dem ganzen Gewicht
ihres Einflusses im Reiche und im Volke für die Aufrechterhaltung der
Wehrhaftigkeit Deutschlands und des Heeres einzutreten. (Bravol) Von
Sr. Majestät dem Kaiser werden Sie doch unmöglich erwarten, daß er in
seinem 90. Lebensjahre nun das Werk desavouirt und zu seiner Zersetzung
mitwirken will, dem er die letzten 30 Jahre seines Lebens gewidmet hat,
der Schöpfung des deutschen Heeres und der Schöpfung des Deutschen Reiches.
Wenn Sie das glauben, wenn Sie irgend durch Ihr Verhalten uns die
Ueberzeugung geben, daß Sie dahin streben; wenn Sie nicht durch eine
baldige und vollständige Annahme unserer Vorlage die Sorge der verbündeten
Regierungen um die Wehrhaftigkeit Deutschlands befriedigen, dann ziehen
wir es vor, die Unterhandlungen mit einem anderen Reichstage, als den ich
hier vor mir sehe, mit Aussicht auf mehr Erfolg fortzusetzen, (Bravol) und
dieser Entschluß liegt in seiner Ausführung sehr viel näher, als Sie annehmen.
Wir werden uns nicht auf lange Verhandlungen mehr einlassen, sondern die
Gefahr, in die wir das deutsche Volk durch Verschleppung und Verzögerung
möglicherweise setzen können — ich sage nicht nothwendigerweise — wird
uns zwingen, darüber bald eine Gewißheit zu haben oder bald mit anderen
Leuten zu reden, die uns Gewißheit geben. (Lebhaftes Bravol)
Nach dieser glänzenden Rede sah sich der Abgeordnete Frhr.
von Huene veranlaßt, die Kommission gegen einige Vorwürfe, die
derselbe in den Ausführungen des Reichskanzlers gefunden, in Schutz
zu nehmen. Fürst von Bismarck erhob sich sofort zu folgender
Entgegnung:
Der Herr Referent ist im Irrthum, wenn er annimmt, ich hätte die
Absicht gehabt, die Kommission anzugreifen und speziell den Herrn Referenten.
Ich bin dazu um so weniger im Stande gewesen, als es mir nicht möglich
gewesen ist, den Bericht der Kommission überhaupt bisher kennen zu lernen.