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und daß sonach nur noch die Zeitfrage in Betracht komme. Diese Aeußerung
gründet sich auf die Erklärung des Führers der zahlreichsten Partei im
Hause, welcher erklärte, daß diese Partei bereit sei, den letzten Mann und
Groschen zu bewilligen; dann aber habe ich, nach Ausweis des steno-
graphischen Berichts, sogleich hinzugefügt, daß die Bewilligung auf kurze
Zeit, auf ein, auf drei Jahre uns nichts nützt (Hört! Hört! rechts), daß
neue Formationen erst im langen Laufe der Jahre wirksam werden, daß
die Stabilität und Dauer die Grundlage aller militärischen Organisationen
bilde. Es kann also nicht zweifelhaft sein, daß ich der Ansicht bin, daß
mindestens eine siebenjährige Dauer nothwendig ist. (Beifall rechts.)
Diesem Redner folgte der Abgeordnete v. d. Decken, nach welchem
der Abgeordnete Eugen Richter das Wort zu einer sehr langen
Rede nahm, in welcher er in seiner bekannten Weise den Reichskanzler
angriff und sich angesichts der drohenden Auflösung des Reichstages
mit der Hoffnung tröstete, daß eine nicht ferne Zukunft ihm und seiner
Partei gehören und daß für die Sache der Deutschfreisinnigen der Tag
des Sieges erscheinen werde. Nach ihm beleuchtete der Abgeordnete
Buhl unter treffenden Schlaglichtern auf den Abgeordneten Richter
die Entwickelung der Dinge in der Kommission und im Hause und
bat schließlich im Interesse des europäischen Friedens und der ruhigen
Entwickelung unserer inneren Verhältnisse der Regierungs-Vorlage voll
und ganz zuzustimmen.
Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das
Wort. Derselbe äußerte sich, wie folgt:
Der Herr Abgeordnete Richter hat, wie ich vernehme, in seiner heutigen
Aeußerung, die ich zu meinem Bedauern nicht gehört habe, gesagt, es wäre
nicht wahr, daß in der bulgarischen Frage im letzten Herbst die Presse der
verschiedenen Oppofitionsparteien die Regierung beschimpft hätte wegen
ihrer friedlichen Politik; es sei Entstellung, daß die Presse zum Kriege mit
Rußland aufgefordert hätte. Er hat ferner gesagt — nach meiner Verfion
—: der Reichskanzler ist der bulgarischen Justiz durch eine diplomatische
Note in die Arme gefallen, um zu verhindern, daß die Hochverräther u. f. w.
Nunm, diese Aeußerungen nöthigen mich, Ihre Zeit, die, wie ich glaube,
ja sehr kostbar und gemessen ist (Heiterkeit), doch mit retrospektiven Mit-
theilungen in Anspruch zu nehmen, die ich ursprünglich nicht beabsichtigt
habe. Ich erlaube mir hiermit, der Oeffentlichkeit diejenigen amtlichen De-
peschen zu übergeben, die wir in Bezug auf das „in den Arm fallen der
Justiz“ damals mit Sofia gewechselt haben. Das eine ist eine Instruktion
aus Berlin vom 1. September an Herrn v. Saldern in Sofia:
Suchen Sie nach Möglichkeit zu hindern, daß Hinrichtungen
stattfinden. Die friedliche Erledigung der Krifis würde durch
solche wesentlich erschwert werden.
Das ist alles, und das ist ungefähr in der Hauptsache auch alles
geblieben.