110 Die Volksschule.
Auch in den vorstehenden Erörterungen über das Recht, eine Schule zu
gründen, haben Grundsätze aufgestellt werden müssen, welche mehreren in
neuerer Zeit Namens der katholischen Kirche aufgestellten Forderungen
entgegentreten. Diess wird voraussichtlich nicht ohne heftigen Widerspruch
bleiben. Das Recht zur Vertheidigung der eigenen Ansichten soll nicht
bestritten und die Folgen derselben müssen übernommen werden. Doch
ist ehrlicher Kampf zu verlangen. Verdächtigung der Absichten, Verdre-
hung der Grundsätze, unwahre Darstellung der Gründe sind schlechte
Mittel, deren sich ein Mann von Ehre und Bildung nicht schuldig machen
darf, auch wenn er eine von ihm schr hoch geachtete Saclıe vertritt.
Männer achtenswerther Art sind unter den Vertheidigern der Ansprüche
der katholischen Kirche aufgetreten; aber man stösst auch auf eine
Kampfweise, welche nach Form und Inhalt, sittlich und intellectuell nicht
stark genug verurtheilt werden kann. Schliesslich gereicht diess freilich
der auf solche Art vertheidigten Sache selbst am meisten zum Schaden,
und haben nicht die Gegner es zu beklagen.
Von keinem Fehler weiss sich der Verfasser dieser Erörterungen freier,
als von dem confessioneller Intoleranz und fanatisch verblendeter Anhäng-
lichkeit an seine eigene Kirche. Er ist verständig und gebildet genug, um
einzusehen, dass eine religiöse Auffassung, welche zweihundert Millionen
Anhänger hat, eine grosse innere Berechtigung haben muss, wenn er schon
manche ihrer Dogmen nicht zu fassen vermag. Er ist auch erfahren genug
in staatlichen Zuständen, um eine Macht hoch anzuschlagen, welche solche
Wirkungen zu erzeugen vermag, wie diess der einheitlich organisirten und
auf das Strengste disciplinirten katholischen Kirche vor unseren Augen
gelingt. Endlich hat er in seinem Alter nicht so viele Illusionen übrig
behalten, um zu noffen, dass der itzt zwischen dem Staate und der Gesit-
tigung der Gegenwart einer und der katholischen Kirche anderer Seits aus-
gebrochene Kampf bald beendigt, dass es namentlich ihm vergönnt sein
werde, das Ionde desselben zu erleben. Trotz alles dessen aber fühlt er
die Pflicht und nimmt er das Recht in Anspruch, offen und unumwunden
das auszusprechen, was er für wahr und notbwendig in der bis zu einem
unbegreiflichen Grade streitig gewordenen Frage über das Volksschulwesen
hält. Ohne die Wirkung seiner Darlegungen im entferntesten zu über-
schätzen, will und kann er doch nicht stille sitzen, wenn er die Erzeug-
nisse einer jahrhundertelangen Gesittigungsarbeit in Gefahr gebracht glaubt.
Irrt er sich in dieser Furcht, um so besser.
Die Politik hat das unter den gegebenen Umständen Nothwendigo zu
erstreben; sie stellt also keine Grundsätze auf, welche unter allen Verhält-
nissen maassgebend sein sollen. Es muss immer „rebus sic stantibus“ ge-
dacht, geschlossen und gefordert werden. Von diesem Gesichtspunkte aus