Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

110 Die Volksschule. 
Auch in den vorstehenden Erörterungen über das Recht, eine Schule zu 
gründen, haben Grundsätze aufgestellt werden müssen, welche mehreren in 
neuerer Zeit Namens der katholischen Kirche aufgestellten Forderungen 
entgegentreten. Diess wird voraussichtlich nicht ohne heftigen Widerspruch 
bleiben. Das Recht zur Vertheidigung der eigenen Ansichten soll nicht 
bestritten und die Folgen derselben müssen übernommen werden. Doch 
ist ehrlicher Kampf zu verlangen. Verdächtigung der Absichten, Verdre- 
hung der Grundsätze, unwahre Darstellung der Gründe sind schlechte 
Mittel, deren sich ein Mann von Ehre und Bildung nicht schuldig machen 
darf, auch wenn er eine von ihm schr hoch geachtete Saclıe vertritt. 
Männer achtenswerther Art sind unter den Vertheidigern der Ansprüche 
der katholischen Kirche aufgetreten; aber man stösst auch auf eine 
Kampfweise, welche nach Form und Inhalt, sittlich und intellectuell nicht 
stark genug verurtheilt werden kann. Schliesslich gereicht diess freilich 
der auf solche Art vertheidigten Sache selbst am meisten zum Schaden, 
und haben nicht die Gegner es zu beklagen. 
Von keinem Fehler weiss sich der Verfasser dieser Erörterungen freier, 
als von dem confessioneller Intoleranz und fanatisch verblendeter Anhäng- 
lichkeit an seine eigene Kirche. Er ist verständig und gebildet genug, um 
einzusehen, dass eine religiöse Auffassung, welche zweihundert Millionen 
Anhänger hat, eine grosse innere Berechtigung haben muss, wenn er schon 
manche ihrer Dogmen nicht zu fassen vermag. Er ist auch erfahren genug 
in staatlichen Zuständen, um eine Macht hoch anzuschlagen, welche solche 
Wirkungen zu erzeugen vermag, wie diess der einheitlich organisirten und 
auf das Strengste disciplinirten katholischen Kirche vor unseren Augen 
gelingt. Endlich hat er in seinem Alter nicht so viele Illusionen übrig 
behalten, um zu noffen, dass der itzt zwischen dem Staate und der Gesit- 
tigung der Gegenwart einer und der katholischen Kirche anderer Seits aus- 
gebrochene Kampf bald beendigt, dass es namentlich ihm vergönnt sein 
werde, das Ionde desselben zu erleben. Trotz alles dessen aber fühlt er 
die Pflicht und nimmt er das Recht in Anspruch, offen und unumwunden 
das auszusprechen, was er für wahr und notbwendig in der bis zu einem 
unbegreiflichen Grade streitig gewordenen Frage über das Volksschulwesen 
hält. Ohne die Wirkung seiner Darlegungen im entferntesten zu über- 
schätzen, will und kann er doch nicht stille sitzen, wenn er die Erzeug- 
nisse einer jahrhundertelangen Gesittigungsarbeit in Gefahr gebracht glaubt. 
Irrt er sich in dieser Furcht, um so besser. 
Die Politik hat das unter den gegebenen Umständen Nothwendigo zu 
erstreben; sie stellt also keine Grundsätze auf, welche unter allen Verhält- 
nissen maassgebend sein sollen. Es muss immer „rebus sic stantibus“ ge- 
dacht, geschlossen und gefordert werden. Von diesem Gesichtspunkte aus
	        
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