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Die Judenemancipation.
Zu den Zuständen, in welchen unsere Zeit von einem Extrem zum
andern übergegangen ist, gehört in hervorragendem Grade dio staatliche
Stellung der Juden. Während dieselben bis noch vor einem Menschenalter
den drückendsten und herabwürdigendsten Maassregeln unterworfen waren,
nicht Staats- und Gemeindebürger sein, in keine Zunft eintreten also kein
Handwerk betreiben, kein Grundeigenthum, wenigstens höherer Art, er-
werben , in bestimmten Orten nicht wohnen vielleicht nicht einmal über-
nachten konnten, in der Zahl der jährlich zu schliessenden Ehen beschränkt,
von allen Öffentlichen Aemtern, wohl auch von der gewerblichen Ausübung
der Wissenschaft ausgeschlossen waren, besondere und beschimpfende Ab-
gaben zu bezahlen hatten, kurz vollständig als Parias behandelt wurden:
sind itzt in den gesittigten Staaten alle Schleussen gezogen und sie zu
sämmtlichen bürgerlichen und politischen Rechten zugelassen worden. Mit
Ausnahme einiger halbbarbarischer Länder im Osten von Europa und des
Kirchenstaates sind die Juden itzt überall in der gleichen Stellung, wıe die
nationale Bevölkerung. Sie können sich beschäftigen, womit sie wollen,
kaufen was ihnen beliebt, sind von keinem Amte und keinem staatsbürger-
lichen Auftrage ausgeschlossen, alle Ehren, Rangstufen, Auszeichnungen
stehen ihnen offen; man hat, um ihnen den Genuss möglich zu machen, die
Bestimmungen der Verfassungsurkunden, die Diensteide geändert. Und so
sehen wir sie denn mehr und mehr überall ihren Weg machen. Juden
sitzen in den Ständeversammlungen,, sind Offiziere, Richter und Verwal-
tungsbeamte; sie überfüllen die Universitäten, die Advocatur, die medi-
cinische Praxis, die Consulate; ihre Häupter sind mit allen Orden der
Welt geschmückt. Wenn irgendwo ein Act von Intoleranz oder gar Miss-
handlung vorkommt, erhebt sich die ganze europäische Welt und selbst die
grossen Regierungen treten zu gemeinschaftlicher Abhülfe zusamınen. Kurz,
die Jadenemancipation ist nicht nur ein Princip, ein «Grundrecht», sondern
eine Thatsache,, ja eine Art von Lieblingsgegenstand der Gegenwart. An
v. Mobil, Staatsrecht. Ba. III, 43