& 23. Die Realunion. 97
& 23. Die Realunion. Im Gegensatze zur Personalunion werden Ver-
bindungen unabhängiger Staaten unter einem gemeinsamen Herrscher in der
Theorie !) als Realunion bezeichnet, wenn die Verbindung auf einer gemein-
samen grundgesetzlichen Bestimmung der beiden Staaten beruht. Nicht
der historisch und völkerrechtlich bedeutsame Akt vertragsmäßiger
Willenseinigung selbständiger Staaten zum Zwecke der Herstellung eines
dauernden engen Verbandes wird als die maßgebende Grundlage der Ent-
stehung und des dauernden Fortbestandes der Union aufgefaßt, sondern der
Schwerpunkt der juristischen Konstruktion (und auch wohl der geschichtlichen
Auffassung betreffender Tatsachen) in Akte der Gesetzgebung der
unirten Staaten verlegt? Gegen diese Betrachtungsweise wendet sich
eine neuere Theorie), welche davon ausgeht, daß eine Verbindung selbständiger
Staaten nur durch übereinstimmenden Willen beider zu stande kommen,
also nur der Vertrag ®), nicht das Gesetz den Rechtsgrund einer Verbindung
von Staaten abgeben kann, welche nicht entweder bereits einem höheren
Willen unterworfen oder derart verbunden sind, daß einer dem anderen von
rechtswegen untersteht5). Diese Betrachtungsweise ist methodisch zutreffend,
da sie für die juristische Konstruktion den ganzen Tatbestand verwertet,
an den der Begriff der Realunion geknüpft wird; die auf die Verbindung sich
beziehenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen der unirten Staaten sind
allerdings ein Element des Tatbestandes, das die Theorie zu beachten hat;
sie sind jedoch weder das einzige, noch das primäre und entscheidende
Element. Dieses: letztere liegt eben in dem die Union begründenden Willens-
akte der Staaten — dem Vertrage. Bei dieser Betrachtungsweise des Tat-
bestandes tritt die Frage nach dem Verhältnis der auf die Verbindung be-
züglichen Gesetze der unirten Staaten zu dem die Verbindung begründenden
Vertrage in den Vordergrund; der Vertrag findet in jenen gesetzlichen Be-
stimmungen lediglich seine Ausführung, die den Untertanen der einzelnen
Staaten gegenüber durch den staatsrechtlichen Akt der Gesetzgebung erfolgt;
die Bedeutung des Vertrags als wesentlicher Voraussetzung jener Gesetze
und als Rechtsgrund der Verbindung bleibt durch die Existenz dieser Gesetze
unberührt. Daher kann auch die Verbindung nicht durch Akte der Gesetz-
gebung, sondern nur im Wege der Vereinbarung bezw. durch die Endigungs-
1) Vgl. H. A. Zachariae in den oben zitierten Schriften; v. Juraschek a. a. O.;
Ulbrich a. a. O.
2) v. Juraschek a. a. O. S. 96, 97 erweitert auf dem Boden dieser Anschauung den
Begriff der Realunion, indem er ihn auf alle Fälle einer verfassungsmäßigen Gemeinsamkeit
eines staatsrechtlichen Organs anwendct.
3) Jellinek, Staatenverbindungen S. 197 ff.
4) Realunionen entstehen durch Vertrag bisher getrennter souveräner Staaten, oder
dadurch, daß im Falle der Auflösung eines Einheitsstaates die getrennten Staaten unter
einem gemeinsamen Monarchen eine Verbindung vertragsmällig begründen, oder durch Cession
auf Grund eines Friedensvertrags. wenn der Zessionar das zedierte Gebiet nicht inkorporicıt
(vgl. Jellinek a. a. O. S. 221), durch Ucbergang von der Personalunion zu einer vertrags-
mäßigen Verbindung der Staaten unter dem gemeinsamen Herrscher.
5) Jellinek a. a. O. 8. 19.
Ullmann, Völkerrecht.
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