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dem primären Zweck der Union ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen
äußeren Politik gegeben; daher werden die unirten Staaten gemeinsame Ge-
sandte schicken und nur für alle unirten Staaten gemeinschaftlich bestimmte
Gesandte empfangen.
$ 24. Der Bundesstaat.!) Politische Einheitsbestrebungen 2) innerhalb
der bedeutendsten Staatenbünde der neueren Geschichte, vor allem in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika, haben zu einer Umgestaltung des
völkerrechtlichen Verhältnisses der verbündeten Staaten geführt, an die in
der Doktrin die Bildung des Begriffs des Bundesstaats geknüpft wurde.
Die Möglichkeit eines aus Staaten zusammengesetzten Gemeinwesens mit
staatlichem Charakter, d. i. einer wirklichen nnd selbständigen Staats-
gewalt, ist indessen bestritten: die Unmöglichkeit von Herrschaftsrechten
gegenüber einem Staate wird aus der dogmatischen Auffassung des Staates
als souveränen Gemeinwesens abgeleitet; sollen die Glieder einer Staaten-
verbindung den Charakter von Staaten bewahren, so könne das Bündnis
immer nur ein vertragsmäßiges Verhältnis, nicht einen Staat begründen’).
Die Frage bietet nicht bloß wissenschaftliches Interesse, sie ist auch in staats-
rechtlicher Beziehung für die innere Gestaltung und Wirksamkeit der öffent-
lichen Gewalten in den betreffenden Gesamtstaaten und in politischer Be-
ziehung von großer Wichtigkeit. Im übrigen herrscht auch unter jenen,
welche die Möglichkeit eines Bundesstaats anerkennen, in manchen Richtungen
Meinungsverschiedenheit, so insbesondere bezüglich der grundlegenden Frage
der für die Entstehung des Bundesstaates juristisch maßgebenden Tatsache,
indem einerseits die vertragsmäßige Entstehung des Bundesstaats und seiner
Verfassung behauptet, anderseits die Unmöglichkeit der Entstehung eines
Staates und seiner Verfassung durch Vertrag in den Vordergrund der Lehre
vom Bundestaat gestellt wird; nach dieser letzteren Ansicht ist der Akt der
Staatsbildung identisch mit dem Akt der Verfassungsschöpfung *,. Der Aus-
gangspunkt der Bildung eines vom Staatenbunde verschiedenen (staatsrecht-
1) Siehe die Literaturangaben bei Laband, H, S. 15. Vgl. auch Heffter-
Geffcken 8 20; F. v. Martens I S. 246ff.; v. Holtzendorff, HH ILS 136ff.; Hart-
mann S. 27ff.;, Gareis $ 14; Rivier, Lehrb. S. 115ff.; Pradier-Fodere, Traite I
& 122; Despagnet, Cours p. 123 sq.; Pi@deliövre, Precis I p. 78sq; Hall, Intern. Law
84; Wharton, Comment. on Law $ 137; Bancroft, History of the formation of the
Constit. of the U. St. (1885); v. Orelli. Staatsr. d. Schweiz. Eidgen. (1885); Oppenheim I, $ 89.
2) Auf der materiellen Grundlage nationaler Gemeinschaft oder historischer Zusammen-
gehörigkeit.
3) Die Ansicht ist vornehmlich von v. Seydel in den oben citierten Schriften ver-
treten. Vgl. insbes. Abhandl. S. 1 ff. (auch Ztschr. f. d. ges. Staatswiss. 1872, S. 185 ff.
und Kommentar zur Verfassung-Urkunde f. d. d. R. (2. Aufl.) S. 6 ff. mit Krıtik der anderen
Ansichten.
4) Vgl. gegen jene Anschauungsweise Jellinek, Staatenverbindungen S. 255. Nach
ihm ist es unmöglich, die Entstehung des Staates juristisch zu konstruieren. „Der Staat
als Voraussetzung der Rechtsordnung kann nicht durch einen Satz der erst von ihm Sanktion
empfangenden Ordnung erklärt werden“ ı(S. 262). „Der Vertrag ist und bleibt... auf die
Beziehungen der dem Staate untergeordneten Persönlichkeiten und die Staaten selbst unter
einander beschränkt“ (S. 261).
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