Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

104 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. 8 25. 
  
Unabhängigkeitsbestrebungen auch ihrer mohamedanischen Vasallen im In- 
teresse der Erhaltung des früheren engeren staatsrechtlichen Verbandes niederzu- 
halten. Dagegen fehlte den Verfassungen der mohamedanischen Vasallen die 
völkerrechtliche Garantie, was hinwieder der Pforte die Möglichkeit offen ließ, 
unwiderruflich verliehene Privilegien zu änderen oder zurückzunehmen. !) 
II. In vasallitischem Verhältnisse zur Pforte stehen derzeit Ägypten und 
Bulgarien. — Ägypten?) hatte seine Stellung als Provinz des osmanischen 
Reiches nach langen Kämpfen um seine Unabhängigkeit unter Mehemed-Ali?) 
auf Grund eines internationalen Rechtsakts, nämlich des zwischen Österreich, 
Preußen, England und Rußland am 15. Juli 1840 zu London abgeschlossenen 
Vertrags‘) wesentlich modifiziert. Dem Vizekönig (Khedive) wurde Auto- 
nomie in den inneren Angelegenheiten des Landes eingeräumt und die Re- 
gierung des Paschaliks Ägypten im Namen des Sultans („au nom du Sultan 
et comme delegu& de Sa Hautesse“) übertragen; Heer und Flotte bilden 
einen Teil der türkischen Streitmacht; Ägypten leistet der Pforte einen be- 
stimmten Tribut.) Die Repräsentativgewalt verbleibt der Pforte, und alle 
Staatenverträge, die vom Sultan abgeschlossen werden, haben ipso jure auch 
für Ägypten rechtliche Geltung. Weitere Erfolge des Strebens nach Unab- 
hängigkeit bilden die Firmans von 1866 und 1873. Durch ersteren wurde 
die Würde des Vizekönigs für vererblich in direkter Linie innerhalb des 
regierenden Hauses Mehemed-Ali’s erklärt; durch letzteren wurde der Grund 
für die teilweise internationale Rechtsfähigkeit Ägyptens gelegt, indem dem 
Vizekönig das Recht eingeräumt ist, Handelsverträge mit auswärtigen Mächten 
abzuschließen. Durch den Quadrupelvertrag von 1840 war Ägypten in den 
Interessenkreis der europäischen Politik getreten; diese Beziehung steigerte 
sich in der neuesten Zeit infolge der internationalen Bedeutung des Suez- 
Kanals und führte zur Beteiligung finanzieller Interesson einzelner europäischer 
Staaten (namentlich Englands und Frankreichs). Die finanzielle Mißwirtschaft 
steigerte den Einfluß der europäischen Mächte; es wurde zur Sicherung der 
Zinsen der ägyptischen Anleihen eine aus Vertretern der meistbeteiligten 
Staaten England und Frankreich zusammengesetzte Kommission zur Beauf- 
sichtigung der Finanzgebahrung bestellt. Der europäische Einfluß zeigte sich 
außerdem im Jahre 1879, indem der Vizekönig Ismail Pascha genötigt wurde, 
zu Gunsten seines Sohnes Tewfik Pascha abzudanken. — Für die Vormacht- 
stellung Englands in Ägypten nach dem Feldzug gegen den Sudan ist das 
Abkommen vom 19. Januar 1899 maßgebend; die Besetzung des J,andes 
erfolgte nach der Unterdrückung des Aufstandes Arabi Paschas im Jahre 
1882. — Bulgarien bildet auf Grund des Berliner Vertrages von 1878 
ein bezüglich seiner inneren Angelegenheiten autonomes Fürstentum unter 
der Oberherrschaft des Sultans, dem ein Tribut zu entrichten ist; Art. 1 be- 
stimmt außerdem, daß eine christliche Regierung und eine Nationalmiliz ein- 
  
1) Jellinek a.a. 0. S. 150. 
2) Vgl. F.v. MartensI S. 252ff. 
3) Vgl. Prokesch-Osten, Mehemed-Ali, Vizekönig von Aegypten (1877). 
4) F. v. Martens, Recueil des traites etc. conclus par la Russie 1V p. 1 p. 495 sı..
	        
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