Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

112 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. $ 27. 
  
als jede aktive Teilnahme von seiner Seite eine Veränderung des Kräfte- 
verhältnisses der an der internationalen Politik in erster Reihe beteiligten 
Mächte herbeiführen könnte. !) Die Neutralisierung bedeutet also eine tief 
eingreifende Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts eines Staates und der 
freien Betätigung seiner Persönlichkeit auf dem Gebiete der internationalen 
Politik. Daraus ergibt sich aber nicht, daß neutralisierte Staaten die Sou- 
veränetät verlieren, weil sie die Pflicht übernommen haben, sich an feindlichen 
Offensivakten zu beteiligen und Offensivbündnisse einzugehen; auch büßen sie 
nichts an ihrer gleichberechtigten Stellung gegenüber anderen Mächten ein: 
es bleibt ihnen insbesondere der Rang gewahrt, der ihnen nach völkerrecht- 
licher Übung zukommt.) Auch sind diese Staaten nicht’ zu einem bloß passiven 
Dasein in der Völkergemeinschaft verurteilt; die positiven Aufgaben des Völker- 
rechts finden gerade in den neutralisierten Staaten eine Stätte sorgfältiger 
Pflege und der große Fortschritt, den das Völkerrecht in den letzten Dezennien 
aufweist, ist mit den beiden hier vornehmlich in Betracht kommenden Staaten 
— Belgien und der Schweiz — ruhmvoll verknüpft. 
II. Die Wirkungen der Neutralisierung sind teils negativer, 
teils positiver Art. Der neutralisierte Staat darf sich an keinem feind- 
lichen Offensivakte gegen dritte Staaten beteiligen; seine militärischen Macht- 
mittel dienen nur der Aufrechterhaltung seiner inneren Sicherheit und Neu- 
tralität. Infolge dessen kann der neutralisierte Staat auch nicht die Garantie 
der Neutralität eines dritten Staates übernehmen, da eine derartige Ver- 
pflichtung ihn in internationale Streitfälle verwickeln könnte, in denen er 
seiner Neutralitätspflicht nicht mehr nachzukommen imstande wäre.?) Ebenso 
würde es den Zwecken seiner Neutralität widersprechen, wenn er mit einer 
dritten Macht ein Defensiv- oder Offensivbündnis eingehen wollte; ersteres 
wäre nur zulässig zum Schutze gegen drohende Verletzung seiner Neutralität. 
Ebensowenig darf sich der neutralisierte Staat an Aktionen der Mächte zur 
Erhaltung des Friedens beteiligen, denn ein solches dem Frieden dienende 
Vorgehen der Mächte schließt eventuelle Kriegsaktionen gegen den Friedens- 
brecher nicht aus. Dagegen ist die Beteiligung des neutralisierten Staates an 
Aktionen der Mächte, welche ihrer Natur nach nur der Lösung friedlicher 
Aufgaben der Völkergemeinschaft dienen, nicht nur nicht ausgeschlossen, son- 
dern in hohem Maße erwünscht. — Eine Erweiterung der Machtsphäre 
des neutralisierten Staates durch Erwerb von Kolonien oder anderen Gebiets- 
teilen ist durch dessen völkerrechtliche Stellung an sich nicht ausge- 
  
1) Vgl. Westlake RXXXIII, 391sq.; Descamps, I,a neutr. de la Belgique 349sq ; 
Oppenheim I, $ 97; neuestens Hagerup I. c. sub. II insbes. gegen Klecn, der dieso 
Frage noch Analogien des Privatrechts behandelt. 
2) Man will durch Erhaltung der kleineren Staaten, die sich im Machtbereich der Groß- 
etaaten befinden, Aspirationen der letzteren im Interesse der Erhaltung des Gleichgewichts 
beseitigen. Durch die Neutralisierung solcher Länder werden unverletzbare Barrieren zwischen 
rivalisierenden Großstaaten geschaffen und damit die Punkte feindlichen Zusammenstoßes ver- 
mindert. Thiers nannte diese Staaten Etats tampons. 
3) So konnte Belgien die Garantie der in dem Vertrage vom 11. Mai 1867 stipulierten 
Neutralität von Luxemburg nicht übernehnen.
	        
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