134 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. $ 34.
der Zessionsvertrag die näheren Bestimmungen. !) Als Maßstab empfiehlt sich
die Steuerleistung, mit der die Bevölkerung des zedierten Gebietsteils an der
Gesamtsteuerleistung des dismembrierten Staates beteiligt war. Minder ge-
eignete Maßstäbe sind der Flächenraum und die Einwohnerzahl ?) des zedierten
Gebietes. — Besondere Bestimmungen enthalten die Zessionsverträge bezüglich
der Aufteilung der Steuern des laufenden Jahres zwischen dem annektierenden
und dem dismembrierten Staat.?) — Schulden, die lediglich im Interesse des
annektierten Gebietsteiles (der Provinz, eines Selbstverwaltungskörpers usw.)
kontrahiert wurden, übergehen in vollem Umfange auf den Erwerber. Eine
nähere Regelung in dem Zessionsvertrage erfordern insbesondere Verbind-
lichkeiten, die sich auf die in dem annektierten Gebiete belegenen Eisenbahnen
beziehen. *)
$ 34. Bildung eines neuen Staates durch Trennung von dem bis-
herigen Staatsverband. Ein derartiger Vorgang (gewöhnlich das Ergebnis
eines Bürgerkrieges) führt zur Schaffung eines neuen völkerrechtlichen Sub-
jekts.5) Die formelle Stellung des Mutterstaates als Völkerrechtssubjekt
bleibt unberührt. Rechte und Pflichten, die nicht mit dem Gebiete des neuen
Staates verknüpft sind (z. B. im Falle von Grenzregulierungen), oder seiner-
zeit lediglich mit Bezug auf den nunmehr einen selbständigen Staat bildenden
Teil des Mutterstaates entstanden sind, gehen nicht auf den neuen Staat über;
insbesondere verlieren die von dem Mutterstaat abgeschlossenen Verträge ihre
Wirksamkeit®),denn die fortdauernde Wirksamkeit hätte die Bedeutung einer
Vervielfältigung eines zwischen zwei Staaten abgeschlossenen Vertrages und
sohin für den dritten Staat die Bedeutung einer ipso jure sich vollziehenden
Vervielfältigung von Rechten bezw. Pflichten, wofür ein rechtlicher Grund
nicht vorliegt. Das betreffende Vertragsverhältnis kann nur durch einen
selbständigen neuen Akt der Interessenten (des neuen Staates und des dritten
Staates, welcher mit dem Mutterstaate betreffende Verträge abgeschlossen
hatte) begründet werden. — Für Staatsschulden, die im Interesse des sepa-
rierten Gebietes von dem Mutterstaate kontrahiert wurden °), bleibt in vollem
Umfange der neue Staat verpflichtet. Bezüglich der allgemeinen Staatsschuld
1) Vgl. z. B. Art. 13 des belgisch-holländischen Vertrages vom Jahre 1839, Art. 2, 3
bezw. 5, 7 des Züricher Vertrages vom 10. November 1859, Art. 8-17 des Wiener Friedens
vom 23. Angust 1864, Art. 9, 33, 42 des Berliner Vertrages vom Jahr 1878.
2) So hatte Italien 1866 die römische Staatsschuld im Verhältnis zur Einwohnerzahl der
Romagna übernommen
3) Siehe Näheres bei Despagnet, Cours p. 103, 104.
4) So die Stipulationen in dem Frankfurter Frieden vom Jahre 1871 betreffend die
Rechte und Pflichten des Deutschen Reiches bezüglich der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen,
5) Beispiele: Erklärung der Unabhängigkeit der vereinigten Provinzen der Niederlande
von Spanien 1648; der vereinigten Staaten von Nordamerika 1776 (Versailler Vertrag vom
$. September 1783); der spanischen Kolonien in Amerika 1822, 1825; Griechenlands (Vertrag
zwischen Großbritannien, Frankreich, Rußland 1827; Art. 10 des Friedens von Adrianopel 1829;
im Londoner Konferenzprotokoll vom 3. Februar 1530; Belgiens 4. Oktober 1930.
6) Vgl. Wildiwan, Institutes of intern. law Ip. 173.
7) 2. B cemittierte Eisenbahnprioritäten.