8 38. Die völkerrechtlichen Personen als Subjekte von Rechten und Pflichten. 141
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Beziehung zu diesen Normen gedacht werden; jedes auf spekulativem Wege
konstruierte Können und Dürfen der völkerrechtlichen Subjekte liegt außer
der Sphäre des Rechts und seiner Erkenntnis; jene bei den subjektiven Rechten
und Pflichten in Betracht kommende Beziehung zu betreffenden Normen ist
also auf dem Gebiete des Völkerrechts allemal eine Beziehung zu den von
den Mitgliedern der Staatengemeinschaft anerkannten Normen
ihrer rechtlichen Stellung in der internationalen Gemeinschaft und der auf
diesem Boden bestehenden konstanten bezw. vorübergehend hervortretenden
Lebensverhältnisse. Die Eigenart der internationalen Gemeinschaft spiegelt
sich folgemäßig nicht bloß in der Art der Entstehung und Bewährung des
objektiven Völkerrechts, sondern auch in der Art der Bewährung völkerrecht-
licher Ansprüche und der Realisierung von völkerrechtlichen Verbindlich-
keiten. Da ferner von subjektiven Rechten nur die Rede sein kann im Hin-
blick auf Subjekte, die in einer Rechtsgemeinschaft als Träger einer Willens-
macht anerkannt sind, so sind völkerrechtliche Ansprüche nur möglich im
Hinblick auf völkerrechtliche Subjekte, d. h. Staaten, die als Mitglieder der
internationalen Gemeimschaft anerkannt sind. ') -
II. Die allgemeinen Erörterungen über die subjektiven Rechte im Völker-
recht und deren Klassifikation sind bis in die Gegenwart vielfach von der
älteren naturrechtlichen Einteilung des Völkerrechts in absolutes, formales
oder unbedingtes und hypothetisches oder materielles, bedingtes, erwor-
benes Völkerrecht beherrscht. Den Grundrechten als absoluten Rechten wer-
den die hypothetischen oder erworbenen Rechte gegenübergestellt, deren Ent-
stehung auf Willensakten oder dem in Gewohnheiten oder Verträgen zum
Ausdruck gelangten rechtlichen Willen der Staaten beruht.2) Diese völker-
rechtliche Theorie der Grundrechte weist augenscheinlich auf jene naturrecht-
liche Anschauung zurück, nach welcher die Grundlage aller sozialen Ordnung
1) Eine eigenartige Anschauung entwickelt Jellinek, System 302; er nimmt auf dem
Gebiete des Internationalen eine doppelte Anerkennung des Staates als Rechtssubjekt an,
nänlıch als isoliertes Rechtssubjekt und als Mitglied der Staatengemeinschaft. Dagegen
wird von Heilborn, System 311, mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Rechtssubjekt
„niemals abstrakt, sondern immer nur konkret, d. h. als Mitglied einer bestimmten Gemein-
schaft mit einer bestimmten Rechtsfähigkeit anerkannt wird. Anerkennung eines Menschen
oder eines Gemeinwesens als Rechtssubjekt ist Anerkennung als rechtsfähiges Mitglied der
anerkennenden Gemeinschaft, nichts anderes“. Heilborn verweist auch darauf, daß die von
Jellinek gezogenen Konsequenzen gegen jene Duplizität der Anerkennung sprechen. An-
erkennung als isoliertes Rechtssubjekt verpflichte zur Unterlassung jeder Verletzung und
Negierung der Persönlichkeit; erst die Anerkennung der Mitgliedschaft an der Staatengemein-
schaft begründe einen Anspruch auf Erfüllung jener Pflicht; es entstehe daher die Frage,
wem gegenüber man im ersten Falle verpflichtet sei? „Da die Staatengemeinschaft der
Persönlichkeit entbehrt, doch nur den anderen Staaten gegenüber; also werden diese wohl
die Befolgung der Norm fordern dürfen.“ Siehe neuestens Cavaglieri, I diritti fonda-
mentali 80 sq.
2) Diese oberste Unterscheidung von absoluten und hypothetischen Rechten, wird von
den Vertretern dieser Richtung fast durchweg festgehalten, so z.B. bei Heffter, F.v. Martens,
Calvo, Carnazza-Amari, Bonfils, Rivier, Fiore, Pradier-Fodere, Wheaton
Travers Twiss u. a. Insofern besteht Übereinstimmung der Ansichten unter den Anhängern
der traditionellen Lehre.