& 39. Rechtliche Verantwortlichkeit der Staaten. 151
nationalen Kollisionen kann aber durch das Verhalten der Gerichte in Aus-
übung der Justizgewalt mit Bezug auf Rechtssachen, die eine internationale
Beziehung aufweisen, gegeben sein. Der Gefahr solcher Kollisionen und der
aus ihnen eventuell entstehenden Verantwortlichkeit suchen die Staaten mit
ausgebildeter Rechtsordnung durch Gesetze, insbesondere auch Strafgesetze
und eine entsprechende Ausbildung des Disziplinarrechts vorzubeugen.) Jeden-
falls haftet der Staat in Fällen der Justizverweigerung, Justizverzögerung
und der Rechtsbeugung für die Anwendung der Landesgesetze und Bestrafung
der schuldigen Organe. Materiell ungerechte Urteile, die auf Grund eines
ordnungsmäßig durchgeführten Verfahrens ergangen sind, können eine Kolli-
sion herbeiführen, die auf dem normalen Wege der Übernahme der Verant-
wortlichkeit durch den Staat nicht ausgetragen werden kann. Gegenüber
rechtskräftigen Entscheidungen der Strafgerichte kann, je nach Lage des Falles,
nur durch Begnadigung und gegenüber dem Strafverfahren nur durch Abolition
Abhilfe getroffen werden. Ergibt sich im einzelnen Falle eine Lücke in der Ge-
setzgebung, welche die Reparation (z. B. durch Bestrafung des betreffenden
Beamten) unmöglich macht, so ist der Anlaß für eine Änderung oder Ergän-
zung der Gesetzgebung für den Staat gegeben. Die Berufung auf die Unzuläng-
lichkeit der Landesgesetzgebung befreit nicht von der Verantwortlichkeit. —
Die der Entstehung der staatlichen Haftung für richterliche Handlungen
aus dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit entgegenstrebenden
Schwierigkeiten entfallen gegenüber verletzendem Verhalten der Verwaltungs-
beamten und der militärischen Organe in Ausübung ihrer amtlichen oder
dienstlichen Funktionen, jedoch unter Überschreitung der Grenzen ihrer Kompe-
tenz. Diese Akte sind zwar publizistisch nicht Akte des Staates; allein das mit der
dienstlichen Stellung gegebene engere Subjektionsverhältnis dieser Personen
gegenüber dem Staat verleiht der staatlichen Aufsicht über ihre amtliche und
dienstliche Wirksamkeit eine erhöhte Bedeutung, die es gerechtfertigt er-
scheinen läßt, den Staat selbst im Interesse des internationalen Verkehrs für
solche Handlungen verantwortlich zu machen. Die in der Praxis allgemein
anerkannte Haftung des Staates hängt in letzter Reihe mit der Erwägung
zusammen, daß durch Bestellung betreffender Personen als öffentliche Funk-
tionäre der Staat selbst die Möglichkeit geschaffen hat, daß diese in Ausübung
ihres Amtes oder Dienstes Handlungen vornehmen können, die sich äußerlich
als staatliche Handlungen darstellen. 2)
1) Vgl. die Ausführungen bei Tricpel, a. a. O. 350 ff. über die hier in Frage kom-
menden „international unentbehrlichen“ Rechtssätze, deren Zweck die Hinderung sog.
„völkerrechtswidriger“ Handlungen der Organe der Verwaltung und der Rechtspflege
ist. Auf letzterem Gebiete sind jenen Maßregeln durch den Grundsatz der Unabhängigkeit
der Gerichte allerdings Grenzen gezogen. Als Beispiel der erwähnten Gcsetze sei jenes in
Frankreich unterm 16. März 1893 ergangene Gesetz angeführt, durch welches den Schwur-
gerichten die Koınpetenz in Fällen der durch die Presse begangenen Beleidigungen fremder
Staatsoberhäupter und diplomatischer Agenten entzogen und den Zuchtpolizeigerichten über-
tragen wurde. Bezüglich einer analogen Maßregel in Italien siehe Lammasch, Ztschr. f. d.
ges. Strafrw. III, 440.
2) Vgl. Triepel, a. a ©. 349; Oppeuheim, I $ 163.