g 39. Rechtliche Verantwortlichkeit der Staaten. 153
Die Verantwortlichkeit des Staates besteht in der Pflicht, die Be-
strafung des Schuldigen herbeizuführen und dem Verletzten den
Rechtsweg zum Zwecke der Erlangung von Schadenersatz offen
zu halten. Eine subsidiäre Schadenersatzpflicht des Staates in Fällen, in
denen Schadenersatz gegenüber dem Schuldigen tatsächlich nicht erwirkt
werden kann, ist nicht anerkannt.
Eine mittelbare Verantwortlichkeit des Staates für Verletzungen, welche
Fremde während eines Bürgerkrieges, eines Aufstands oder Aufruhrs'') er-
litten haben, besteht insofern, als auch hier Bestrafung der Schuldigen ein-
treten muß und den Beschädigten der Rechtsweg zum Zweck der Geltend-
machung von Schadenersatzansprüchen offen gehalten wird. Dagegen ist eine
völkerrechtliche Haftung des Staates für Verluste und Schaden,
den Fremde aus solchen Anlässen erlitten haben, nicht anerkannt. Diese vor-
herrschende Meinung, der auch die Staatenpraxis entspricht, geht von der
Erwägung aus, daß Fremde durch ihren freiwilligen Aufenthalt im Lande die
Gefahren von Schaden und Verlusten auf sich nehmen, die aus Bürgerkrieg usw.
für sie entstehen können; auch liege kein durchgreifender Grund vor, die
Fremden in derlei Fällen anders zu behandeln, als die Einheimischen. Ihre
Interessen finden in den Mitteln des Zivil- und Strafrechts, die ihnen zur Ver-
fügung stehen, entsprechenden Schutz. Statuiert das Landesrecht eine Ersatz-
pflicht der kommunalen Verbände in Fällen von Aufständen, so hat der Fremde
den gleichen Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens, wie die Einheimi-
schen. In der Praxis sind allerdings Fälle vorgekommen, in denen einzelne
Staaten Ersatz geleistet haben. Indessen die Ersatzleistung erfolgte stets
nur aus politischen Motiven und nicht in Erfüllung einer völkerrechtlichen
Verbindlichkeit — sie war lediglich eine liberale Leistung.?2) In Verträgen
der mittel- und südamerikanischen Staaten mit europäischen Staaten, wo viel-
fach der Anlaß zur Erörterung dieser Frage gegeben war, wurde die Ersatz-
pflicht ausdrücklich abgelehnt; sie wird nur anerkannt für den Fall des
Verschuldens oder des Mangels der erforderlichen Sorgfalt.
1) Vgl. insbesondere v. Bar R (2. Ser.) I, 464 sq.,;, Wiese, l. c. 43sq. Das Institut
für internationales Recht hat (1900) fünf Regeln über die Behandlung dieser Materie aufge-
stell. Annuaire XVIII, 253 sq. — Für die Anerkennung einer völkerrechtlichen Verbindlich-
lichkeit ist unter a. Rivier, Principes II, 43 eingetreten.
2) Fälle bei Calvo, 111, $S$ 1283 sq.