g 41. Die rechtliche Stellung der obersten Organe der Staaten. 157
$41. 11. Die rechtliche Stellung der obersten Organe der Staaten.'!)
1. Dem obersten Organ steht das Recht der Vertretung des Staates nach
außen zu. Die Betätigung des Staatswillens nach außen erfolgt auf den
höheren Stufen der Entwicklung des wechselseitigen Verkehrs der Völker in
mannigfachen Richtungen. Innerhalb der Gesamtheit der betreffenden Hand-
lungen lassen sich gewisse Gruppen bilden, welche alle jene Handlungen um-
fassen, die entsprechend der Stabilität der friedlichen Beziehungen der Staaten
bezw. der allgemeinen Natur gewisser, wenn auch nur vorübergehender Ver-
hältnisse (z. B. des Kriegsverhältnisses), konstant wiederkehren. Demgemäß
läßt das dem obersten Organ zustehende Repräsentationsrecht eine Spezialisie-
rung einzelner Befugnisse zu, die in den modernen Verfassungsurkunden in der
demonstrativen Aufzählung einzelner Rechte zum Ausdruck kommt 2). Die
Verfassungen enthalten auch die rechtlichen Bedingungen, unter denen das
oberste Organ die einzelnen Rechte auszuüben berufen ist 3); in konstitutionellen
Staaten kommt auch die Mitwirkung des verantwortlichen Ministers oder Staats-
sekretärs in Betracht.
Im Einzelnen treten insbesondere folgende Funktionen des obersten Organs
hervor: a) die mit der obersten Leitung der auswärtigen Angelegenheiten ge-
gebenen Funktionen; b) das oberste Organ schließt und ratifiziert die Verträge
mit anderen Staaten; c) das Staatsoberhaupt sendet Gesandte an andere Staaten,
es emplängt die Kreditive der bei ihm beglaubigten fremden Gesandten; d) es
erteilt fremden Konsulen das Exequatur; e) es erklärt den Krieg und schließt
den Frieden.
Das Repräsentationsrecht steht demjenigen zu, der die Staatsgewalt fak-
tisch ausübt; der, wenngleich legitime, jedoch augenblicklich aus der Herr-
schaft verdrängte Fürst hat daher kein Repräsentationsrecht *)
2) v. Holtzendorff, HH II S. 77ff.; Heffter-Geffcken, 8$ 4Sff.; Bluntschli,
Völkerrecht $$ 115ff.; Hartmann, S. 61ff.; Gareis, S. 8$ffl,; Rivier, Lehrb. $& 35 ff.,
Prineipes I p. 413sq ; F. v. Martens I S. 308ff.; Lawrence, Comm. sur Wheaton Ip.
165 sq.; Calvo 1 $ 313; Despag net, Cors 206 sq.
3) So sagt z. B. Art. 11 der deutschen Reichsverfassung: „Der Kaiser hat das Reich
völkerrechtlich zu vertreten.“ Diese allgemeino Kompetenz des Kaisers wird aber sofort spe-
zialisiert, indem in demselben Satze exemplifizierend weiter bestimmt wird: der Kaiser hat
„im Namen des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere
Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu empfangen und zu beglaubigen“. Vgl.
Hänel I S. 532. Vgl. auch Art. 8, s5, 102 der schweizerischen Verfassung v. J. 1574; Art. 1
Sekt. 8, Art. II Sekt. 2 u. 3 der Verfassung der Ver. Staaten von Nordamerika; Art. 7, $, 9
des französischen Gesetzes vom 16. Juli 1575.
4) So enthält der zit. Art. 11 der deutschen Reichsverfassung eine Einschränkung des
Rechts, im Namen des Reichs Krieg zu erklären, indem diese Erklärung an die Zustimmung
des Bundesrats gebunden ist, „es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen
Küsten erfolgt“. Die Abschließung von Verträgen mit anderen Staaten ist an die Zu-
stimmung des Bundesrats gebunden und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichs-
tags erforderlich, wenn sich die Verträge auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4
der Reichsverfassung in den Bereich der Reichsgesetzgebung fallen. Näheres bei v. Seydel,
Kommentar (2. Aufl.) S. 153ff. Vgl. auch Art. 45 der preußischen Verfassung, Art. 65 der
belgischen Verfassung, Art. 8, 9 des französischen Gesetzes vum 16. Juli 1575.
1) Vgl. Näheres bei F. v. Martens 1 S. 310 ff.