Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

g 44. 2. Die diplomatischen Agenten. Das Gesandtschaftsrecht. 163 
  
Zeit, in der selbst ein wenig entwickelter und zumeist nur auf konkrete Tat- 
bestände und vorübergehende Beziehungen beschränkter Verkehr der Staaten 
und Völker die Notwendigkeit von Organen nahegelegt hatte, denen die 
Besorgung betreffender Geschäfte übertragen ward. Bei allen Völkern tritt 
frühzeitig als Ausdruck sittlichen Bewußtseins, religiöser Anschauung und 
wohlverstandenen eigenen Interesses eine gleichmäßige Übung bezüglich der 
Verhandlungen mit anderen Völkern, auch im Falle kriegerischen Konflikts, 
hervor, der zufolge Gesandten !) im Interesse der Erfüllung ihrer Aufgabe 
gewisse Rechte, insbesondere Unverletzbarkeit gesichert waren. Die Bedeu- 
tung religiöser Anschauungen für die Ausbildung bestimmter Regeln des Ver- 
haltens im Verkehr mit anderen Völkern tritt namentlich bei den Römern 
hervor, welche gewisse mit der Vertretung des Staates nach außen verknüpfte 
Geschäfte 2) einem Priesterkollegium (fetiales) übertragen hatten (s. oben S. 62). 
Daneben kommen als Organe des Senats, dem die eigentliche Verhandlung oblag, 
noch die Feldherren und legati in Betracht. Dieselben Gründe, welche im Alter- 
tum den Gedanken einer konstant wirksamen Ordnung internationaler Be- 
ziehungen nicht zur Herrschaft gelangen ließen, waren auch dafür maßgebend, 
daß der Verkehr der Staaten durch Gesandte nur auf einzelne Fälle be- 
schränkt blieb. Ebenso verhielt es sich in der Hauptsache im Mittelalter. 
Eine eigenartige Stellung nehmen in dieser Epoche die Vertreter des heiligen 
Stuhles in Byzanz bis zum Ausbruch des Schismas und am Hofe der fränki- 
schen Könige ein (die apocrisiarii oder responsales); in dieser Einrichtung 
kommt allerdings der Gedanke ständiger Vertretung zum Ausdruck, ohne daß 
jedoch darin die Anfänge des Instituts der ständigen Gesandtschaften zu suchen 
sind.3) Maßgebend für die Entwicklung der ständigen Gesandtschaften war 
vielmehr (seit der Mitte des 15. Jahrhunderts) die Übung der italienischen 
Staaten '), gegenseitig ständige Gesandtschaften zu bestellen; von diesen Staaten 
wurden auch zuerst residierende Gesandte an die Höfe der größeren europäischen 
Staaten (Spanien, Frankreich, England, Deutschland) gesandt, die seit dem 
Ende des 15. Jahrhunderts auch untereinander ständige Gesandtschaften 
einführten (s. oben S. 64ff.). Die nationale und staatsrechtliche Konsolidierung 
Spaniens, Frankreichs und Englands, das machtvolle Auftreten dieser Staaten, 
dem gegenüber eine Annäherung der anderen Staaten als das Mittel der Er- 
haltung der eigenen Integrität erschien, ließen bald die Zweckmäßigkeit 
ständiger Vertretung erkennen.°) Mit der Ausbildung des Systems des poli- 
tischen Gleichgewichts (insbesondere seit dem Westphälischen Frieden) wurden 
1) Bei den Griechen kommen außer Gesandten (ro£oßıe) Herolde (xror&) vor, 
welche nur eine bestimmte Botschaft überbringen. während jene zu eigentlichen Unterhand- 
lungen verwendet werden. Vgl. Näheres bei Müller-Jochmus a.a.0. und Geffcken, 
NH IH S. 606. 
2) Kriegserklärung, Abschluß von Friedensverträgen und Bündnissen usw. 
3) Vgl. Picper a.a.0. S.2. 3. 
4) Vgl. Reumont, Della diplomazia ital. dal sec. XII al XVIp iisq. Unter den 
italienischen Staaten war es insbesondere Venedig, dessen Diplomatie frühzeitig sich ent- 
wickelt hatte. 5) Vgl. Nys, Les origines du dr. intern. p. 295, 296. 
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