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schaftsverhältnisse entstanden sind und diesen die völkerrechtliche Aner-
kennung füglich nicht versagt werden kann, tritt ein neues Subjekt des Ge-
sandtschaftsrechts bezw. ein neues Organ der Ausübung!) dieses Rechts in die
Staatengemeinschaft ein. Personen, die von dem Prätendenten oder der revo-
lutionären Partei u. s. w. vor Schaffung einer neuen und voraussichtlich
stabilen Sachlage an auswärtige Staaten gesendet werden, sind daher nicht
als Gesandte zu behandeln?2). Hat eine Regierung den Abgeordneten einer
faktisch bestehenden fremden Regierung angenommen, so kann sie nicht auch
zugleich den Gesandten der -depossedierten, wenngleich legitimen, Regierung
annehmen). Gegenüber jenen Mächten, die den neuen Zustand nicht aner-
kennen, behält der depossedierte Fürst das Recht der diplomatischen Vertre-
tung. Fürsten, die dem Throne entsagen, verlieren das Gesandtschaftsrecht.
IV. Das päpstliche Gesandtschaftsrecht wird trotz der Einverleibung
des Kirchenstaats in das Königreich Italien anerkannt und tatsächlich geübt °).
V. Derzeit ist es Regel, daß sich ein Staat nur durch einen Gesandten
auswärts vertreten läßt. Werden ausnahmsweise zu einem Kongreß oder
einer Konferenz mehrere Repräsentanten bevollmächtigt, so pflegt einer der-
selben als erster Bevollmächtigter bezeichnet zu sein’).
VI. Zuweilen wird ein Gesandter bei mehreren Höfen beglaubigt ®); fer-
ner lassen sich mehrere Staaten durch einen und denselben Repräsentanten
bei einem anderen Staate vertreten; endlich kommt es vor, daß der bestellte
Vertreter einer Macht die Vertretung einer anderen übernimmt.
$ 46. Arten und Klassen der diplomatischen Agenten’). I. Die Ver-
tretung des Staates bei auswärtigen Mächten dient entweder geschäftlichen
1) So hatte Mazarin die Gesandten Cromwell’s angenommen.
2) Während des nordamerikanischen Sezessionskrieges wurden von einem Kreuzer der
Unionsregierung auf dem englischen Schiffe „Trent* zwei Persönlichkeiten — Mason und
Slidel —, welche sich als Gesandte der Südstaaten ausgaben, angehalten. Diesen Persönlich-
keiten fehlte jedoch der diplomatische Charakter, da die südstaatliche Regierung nicht als
Regierung eines selbständigen Staates von anderen Mächten anerkannt war und der Kampf
auch nicht zu Gunsten der Sezessionisten entschieden wurde. Vgl. Marquardsen, Der
Trentfall (1862) S. TIff.; Geffeken, HH III S. 624ff.
3) So hat die englische Regierung nach Anerkennung des Königreichs Italien den Ge-
sandten des Königs von Neapel nicht mehr als solchen anerkannt. — Über das eigenartige
Auskunftsmittel, welches bezüglich der Anwesenheit eines Vertreters des Königs von Italien
und des Königs von Neapel bei der Krönung des Königs von Preußen (1861) gewählt wurde
siehe Geffcken, H H IH 8. 620.
4) Näheres s. bei Hübler, Magistraturen 21, 22, 23.
5) Beispiele der Bestellung mehrerer Gesandten insbesondere aus der russischen Praxis
bei F. v. Martens DIS. 31.
6) So ist z. B. seitens Belgiens ein Gesandter für München, Stuttgart, Karlsruhe und
Dresden bestellt. Österreich-Ungarn hatte bis in die neuere Zelt einen einzigen Ge-
sandten für China, Japan und Siam.
7) Phillimore II, 88 211 sq.; Travers Twiss I, $$ 204 sq.; Oppenheim |,
$$ 363 sg ; Heffter-Geffeken 88 208; Geffeken, HH III, 655ff.; Bonfils No $ 667 sq.;
Pradier-Fodeöre, IL 88 1277 sq.; Rivier, Principes I, 443 sq.,; Hübler, Die Magistra-
turen des völkerrechtlichen Verkehrs 13ff.; Gareis, $ 37; v. Liszt, $ 14; A. Zorn, Völker-
recht, S. 83ff.