$ 52. Verhältnis der diplomatischen Agenten zu dritten Staaten. 193
besondere auf der Reise nach ihrem Bestimmungsorte oder bei anderen An-
lässen) sich der analogen Behandlung wie im Empfangsstaate erfreuen, so
kommen augenscheinlich in dieser Uebung der Gedanke der Interessenge-
meinschaft der Kulturstaaten und die sich daraus insbesondere für die diplo-
matischen Organe der in Verkehr stehenden Staaten ergebenden Konsequenzen
zum Ausdruck: das Institut der Gesandtschaft ist nicht bloß eine Einrichtung,
die mit den konkreten Verkehrsverhältnissen des Absende- und Empfangs-
staates zusammenhängt — es ist eine internationale Institution im eminenten
Sinne des Wortes; der Schutz, den ein in diplomatischer Mission begriffenes
Organ eines Völkerrechtssubjekts bei jedem anderen Völkerrechtssubjekte
findet, bekundet die Ueberzeugung von der Notwendigkeit eines solchen
Verhaltens aller einzelnen Völkerrechtssubjekte, welches deren freien Verkehr
gewährleistet. Allerdings kann jener besondere Schutz, um den es sich hier
allein handelt !), auswärtigen Missionen nur dann zukommen, wenn diese als
solche und in ihrer diplomatischen Aktion befindlich legitimiert sind, insbe-
sondere dann, wenn der dritte Staat die Durchreise durch Erteilung oder
Visierung der Pässe oder von sauf conduits oder auch nur stillschweigend zu-
gelassen hat?). Selbstverständliche Voraussetzung ist, daß das Betreten des
Territoriums eines dritten Staates ein freundschaftliches und ungefährliches
ist3). Nichtachtung der Unverletzlichkeit des Gesandten einer fremden Macht
ist eine Verletzung des Absende- und des Empfangsstaates. Eine der schwersten
Verletzungen des Völkerrechts in der Geschichte war die Hinrichtung der
Gesandten des Königs Franz I. von Frankreich durch den Statthalter von
Mailand und die Weigerung Karl’s V., auch nur das Minimum von Genug-
tuung durch Bestrafung des Verbrechens zu leisten; dieses Verhalten war ein
gerechter Grund des Krieges, der nun erklärt wurde, und der Anrufung
aller anderen Staaten zur Teilnahme an der völkerrechtlichen Sühnung des
geschehenen Unrechts.
Diese Pflicht zur Achtung fremder diplomatischer Missionen schließt aber
keineswegs das Urteil des beteiligten Staates über den unbedenklichen bezw.
gefährlichen Charakter der Durchreise und das Recht zur Ergreifung der
nötigen Schutzmaßregeln und Vorsichten oder zur Untersagung der Durchreise
aus; so kann der fremden Mission eine bestimmte Route vorgeschrieben, der
Aufenthalt auf eine bestimmte Frist beschränkt oder geradezu untersagt ')
werden u. S. W.
Einen Anspruch auf Befreiung von der Jurisdiktion des Durchreisestaates
1) An sich genießt ja im Bereich der Kulturstaaten der Gesandte ohneliin schon jenen
rechtlichen Schutz, den das heutige Recht allenthalben den Fremden gewährt.
2) Hartmann S. 109. 3) Jus transitus innoxii.
4) Im Jahre 1854 hatte die französische Regierung dem Gesandten der nordamerikani-
schen Union in Madrid zwar die Durchreise durch Frankreich nach seinem Bestimmungsorte
gestattet, aber den Aufonthalt auf französischem Gebiete verweigert. In der betreffenden
Note, durch welche das Verfahren der französischen Regierung gerechtfertigt werden sollte,
wurde einerseits der Unterschied der bloßen Durchreise und des Aufenthalts hervor-
gehoben, anderseits auf Interessen der öffentlichen Ordnung hingewiesen, die in dem konkreten
Falle in Frage stünden. Vgl. Geffeken, HH III S. 666.
Ullmann, Völkorrecht. 13