200 Drittes Buch. Die Organe der Völkerrechtssubjekte. 8 54.
erblicken, haben auch heute in der Hauptsache ihre Bedeutung nicht ver-
loren !). Übrigens hat man in neuester Zeit den Gedanken einer Revision
der Verträge mit einzelnen orientalischen Staaten in das Auge gefaßt?), um
eine Grundlage zu schaffen, auf der Modifikationen der anomalen Jurisdik-
tionsverhältnisse in betreffenden Ländern durchgeführt werden könnten?). Die
Voraussetzungen der Kapitulationen sind nur in jenen Gebieten weggefallen,
wo an die Stelle der mohamedanischen Regierung eine christliche getreten,
bezw. europäischer Einfluß auf die Verwaltung und Rechtsprechung zur
Geltung gekommen ist. Hier kommen zunächst die Beschlüsse des Berliner
Vertrages vom Jahre 1879 bezüglich Serbiens (Art. 37) und Rumäniens
(Art. 49) in Betracht. An die Stelle der Kapitulationen sind Konsularverträge
dieser beiden Staaten mit europäischen Mächten getreten‘). Ferner ist im
Gebiete des Kongostaates die Justiz durch den Souverän organisiert. In
Bosnien und der Herzegowina sind derzeit auf Grund neuer von der
österreichisch-ungarischen Regierung geschaffener Gesetze Gerichte organisiert
und mit der Ausübung der Jurisdiktion betraut). — In Cypern hat die
englische Regierung einseitig die Konsulargerichtsbarkeit beseitigt‘. — Mit
der Einführung französischer Einrichtungen in Tunis (auf Grund der Schutz-
herrschaft Frankreichs in diesem Lande) war der Grund der Fortdauer der
exzeptionellen Konsulargerichtsbarkeit weggefallen; alsbald hatte das Deutsche
Reich die Konsulargerichtsbarkeit vom 1. Febr. 1884 ab außer Übung gesetzt
und durch Erklärung vom 18. Nov. 1896 ausdrücklich auf die Geltung der
Kapitulationen in Tunis verzichtet; zugleich wurde erklärt, für die deutschen
Reichsangehörigen in Tunis keine anderen Rechte in Anspruch nehmen zu
1) S. neuestens auch Oppenheim I, $ 442; vgl. auch Gareis $ 47 (S. 185).
2) Mit Rücksicht auf die Kapitulationen mit der Türkei geschah dies im 14. Protokoll
des Pariser Vertrags vom 25. März 1856 im Hinblick auf künftige Reformen in der Türkei,
die eine Änderung des exceptionellen Zustands gestatten würden. Diese Hoffnung ist aber
nicht in Erfüllung gegangen. — In dem deutsch-koreanischen Vertrage v. 26. Novbr.
1583 (Rgbl. 1884 S. 221) wird für den Fall einer entsprechenden Änderung und Verbesserung
des Gerichtsverfahrens in Korea die Auflassung der deutschen Konsularjurisdiktion in Aus-
sicht gestellt.
3) Durch Ordonnanz v. 17. Jan. 1879 führte der englische Higheummissioner in Cypern
englische Justizbehörden ein; die Kapitulationen wurden gekündigt.
4) Dieser Aufgabe hat sich das Institut für intern. Recht auf Grund zweier Proposi-
tionen von Dudley Field (1875) unterzogen (siehe Annuaire XI p. 335 sq.). Wie sehr die
Umgestaltung der Kulturverhältnisse eines Landes im Sinne europäischer Zivilisation die Vor-
aussetzungen der Kapitulationen zu modifizieren geeignet sind, zeigt der oben 8. 199 Anm. 2
mitgeteilte Verzicht Englands und des Deutschen Reiches auf die Konsularjuris-
diktion in Japan. Bezüglich Japans siche übrigens Annuaire XI p. 346 und die daselbst
allegierten Berichte von Travers ITwiss. Derselbe in Revue de droit intern. XXV p. 213;
Paternostro, ebenda XXIII p. 5 sq. 176 sq.; Kentaro Kaneko, ebenda ÄXV. p. 335;
neuestens Dubois, Revue generale de dr. intern. public IIp. 111 sq.
5) Serbien hat Konsularverträge mit Deutschland, Österreich, Belgien,
Italien, der Türkei und den Vereinigten Staaten von Nordamerika; Rumänien
mit der Schweiz, mit Belgien und den Vereinigten Staaten geschlossen.
6) Deutschland hat durch Gesetz vom 7. Juni 1850 bez. Verordnung v. 23. Dez. 1580
(RGBI S. 191) $ 1 auf die Konsularjurisdiktion in diesen Ländern verzichtet.