8 54. Die Konsulen. Entwicklung des Konsularwesena. 201
wollen als diejenigen, welche ihnen in Frankreich auf Grund der zwischen
Deutschland und Frankreich bestehenden Verträge zustehen.
Anders mußte sich die Stellung der Konsulen in den christlichen Staaten
gestalten. Die politischen Verhältnisse der mittelalterlichen Staaten und all-
gemeinen Rechtsanschauungen der damaligen Zeit konnten die Anomalie einer
fremden Jurisdiktion im Lande immerhin gerechtfertigt erscheinen lassen;
dagegen hatte diese Anomalie jede Grundlage verloren, seitdem der moderne
Staat seine Gewalt einheitlich gestaltet und abgeschlossen und folgemäßig
deren Ausübung gegenüber allen im Territorium befindlichen Personen nach
deın eigenen Landesrecht in Anspruch genommen hatte. Eine Jurisdiktion
fremder Konsulen wurde nicht mehr anerkannt!). Die Aufgabe der Konsulen
beschränkte sich in der Hauptsache auf den Schutz der Handelsinteressen
ihrer Landsleute, deren Vertretung vor den Landesbehörden, schiedsrichter-
liche Funktionen, eine Reihe polizeilicher Befugnisse bezüglich der Handel-
treibenden und der Schifffahrt ihrer Länder?). Seit der Einführung ständiger
Gesandtschaften wurde übrigens die Autorität der Konsulen in christlichen
Staaten auch in anderer Beziehung abgeschwächt. Ursprünglich aus der
Mitte ihrer handeltreibenden Landsleute gewählt und lediglich deren Ver-
treter sind die Konsulen im Laufe der Zeit Vertreter ihrer Nation auf Grund
offizieller Vollmacht ihres Staates geworden, deren Autorität um so bedeut-
samer war, als eine ständige diplomatische Vertretung noch nicht bestand.
Konnte man vorher die Konsulen als eine Art von offiziellen Repräsentanten
ihres Staates betrachten, so waren nunmehr die diplomatischen Agenten die
ausschließlichen Vertreter geworden). Die Bedeutung der spezifisch politischen
Interessen im 17. und 18. Jahrhundert hatte die Diplomatie in den Vorder-
grund gerückt; in der gleichzeitigen Literatur wurde bei der Beurteilung des
Konsularwesens die Aufmerksamkeit vorwiegend auf die Wahlkonsulen ge-
richtet und die rechtliche Stellung bezw. praktische Bedeutung der Berufs-
konsulen übersehen *). Indessen konnte doch auch in jener Zeit die Bedeutung
des Konsularinstituts nicht unbeachtet bleiben, waren doch die handels-
politischen Interessen eines der wichtigsten Objekte der Wohlfahrtspflege
des absoluten Staates geworden. In diesem Zusammenhange ist in Frankreich
die unter Colbert entstandene Marineordonnanz von 1681 aufzufassen, die
den meisten anderen Staaten als Vorbild der Organisation des Konsulardienstes
gedient hatte. — Seit dem Passarowitzer Vertrage war für die handels-
politischen Beziehungen Oesterreichs zu den Ländern der Pforte eine feste
rechtliche Grundlage gegeben: ein wichtiges Mittel der Pflege dieser Be-
ziehungen wurde die 1754 gegründete Orientalische Akademie in Wien
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1) Vgl. Hübler a. a. O. 45. 2, Vgl. Calvo Ill. p. 1369.
3) Mit Rücksicht auf diesen Wandel der Stellung der Konsulen sagt Vattel (Le droit
des gens IV, VI): „Autrefois ces agents Ctaient une espöce de ministres publics: mais au-
jourd’hui que les titres sont multiplies et prodigucs, eelui-ci est donn& & de simples com-
missionaires des princes pour les affaires particulitres.“
4) Vgl. Engelhardt im Annuaire XI p. 355 sq. und die daselbst allegierten (für jene
Zeit charakteristischen) Aussprüche von Wicquefort und Bynkershoek.