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Interessen umsoweniger verständlich ist, als die mangelhafte Vertretung dieser
Interessen im Auslande die empfindlichste Wirkung auf das nationale Wirt-
schaftsleben übt; die nationale Wirtschaft der Kulturstaaten existiert und ge-
deiht heute nicht mehr als isolierter Organismus — sie kann nurmehr als
organischer Bestandteil der Weltwirtschaft gedeihen. Daß die Vertretung der
hier in Frage stehenden Interessen durch sog. Wahlkonsulen nur eine unge-
nügende sein kann, wird heute kaum mehr ernstlich bestritten werden können.
Die Wahlkonsulen !) sind Privatpersonen, zumeist Kaufleute und Untertanen
des Staates, in dessen Gebiete sie die Handelsinteressen eines fremden Staates
vertreten und eine Reihe anderer Aufgaben zu erfüllen haben. Abgesehen
davon, daß die Verbindung der konsularen Funktionen mit den Angelegenheiten
eines vielbeschäftigten Kaufmanns oder Industriellen eine ungewöhnliche Ar-
beitskraft voraussetzt, leidet diese Kumulierung von Geschäften an einem
offenbaren inneren Widerspruch. So gewiß es unter den Wahlkonsulen Per-
sönlichkeiten gegeben hat und heute noch gibt, die dem Staate, dessen Inter-
essen sie zu vertreten haben, wertvolle Dienste in handelspolitischen Fragen usw.
geleistet haben, so läßt sich doch nicht leugnen, daß dies im Hinblick auf die
Gesamterfahrungen, die mit diesem Institute gemacht worden sind, eben nur
Ausnahmen sind. In der Regel ist die kaufmännische oder industrielle Aus-
bildung und Routine einer Persönlichkeit keine Gewähr für den Besitz jener
fachmännischen Bildung, welche die sichere und verläßliche Arsübung der
Konsularfunktionen notwendig voraussetzt. Jener Widerspruch steigert sich
aber, wenn wir die durchaus nicht seltenen Fälle in Betracht ziehen, in denen
die offiziellen Interessen mit den privaten kollidieren 2). Eine Gefährdung der
Interessen des ernennenden Staates ist hier nicht ausgeschlossen, sei es, daß
ihm wichtige Tatsachen, Konjunkturen usw. verschwiegen oder positive Mit-
teilungen gemacht werden, die von den Anschauungen des Konsuls über die
eventuelle Gefahr für seine privaten Interessen beeinflußt sind. Eine Anomalie
und Quelle von Pflichtenkollisionen liegt namentlich dann vor, wenn der Wahl-
konsul Untertan des Staates ist, in dessen Gebiet er die Konsularfunktion aus-
zuüben berufen ist. Nicht selten erfordern es die Umstände des einzelnen
Falls, daß der Konsul gegenüber den Lokalbehörden seiner amtlichen Auto-
rität Geltung zu verschaffen hat, er also ungeachtet seiner Stellung als Untertan
fremde Interessen gegen seinen Heimatsstaat vertreten soll. Selbst in jenen
Fällen, in welchen er der übernommenen Aufgabe gerecht werden wollte,
1) Vgl. für das Folgende die Denkschrift von Engelhardt (Annuaire XI p. 348 sq.).
2) Charakteristisch ist die Äußerung der im Jahre 1S76 in Paris einberufenen außer-
parlamentarischen Enquötekommission, an der Vertreter des Großhandels und der Diplo-
matie teilgenommen haben. Nach den Mitteilungen von Engelhardt (Annuaire XI p. 351)
heißt es in den Verhandlungen der Kommission: „Si l’on peut ätre assur6 de la capacitö
d’un n€gociant dans la branche de commerce qu’il exploite, elle est, au contraire contestable
sur toutes les matidres si nombreuscs qui rentrent dans la sphäre du consulat. On peut m&me
penser qu’en ce qui concerne les questions que les consuls ad honorem sont particuliörement
aptes & traiter, c’est-A-dire celles qui touchent & leur propre commerce, on ne trouve pas
toujours chez eux une entiere impartialit6 et il est vraisemblable qu’ils n’emploiront pas vo-
lontiers & eux-mämes des concurrents.“