14 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. 83,
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ist praktisch bei entwickeltem Völkerverkehr und auf dem Boden der Völker-
gemeinschaft unhaltbar: schon die Rücksicht auf die Interessen der eigenen
Staatsangehörigen mußte zu einer Einschränkung jenes exklusiven Stand-
punktes führen. 1) Mächtiger erweist sich aber die Existenz der Staaten-
gemeinschaft; innerhalb dieser muß die einzelne Staatsgewalt die koordinierte
Stellung des eignen Landesrechts neben dem der anderen Staaten aner-
kennen. Indem nun die zivilisierten Staaten die Konsequenzen des inter-
nationalen Verkehrs und ihrer Stellung als Glieder der internationalen
Gemeinschaft anerkennend ihren Gerichten die Anwendung ausländischen
Rechts gestatten, erfüllen sie nicht bloß eine Forderung der über den natio-
nalen Rechtsordnungen stehenden völkerrechtlichen Ordnung; sie werden damit
zugleich einer materiellen Forderung sachgemäßer Rechtspflege gerecht, in-
sofern der oben betonte Zusammenhang einzelner Elemente betreffender Privat-
rechtsverhältnisse mit fremdem Landesrecht volle Würdigung finden kann
und damit das eigene Interesse des Landes an der Erfüllung der Zwecke der
Rechtspflege volle Befriedigung findet.2) Diese Gestaltung des Verhaltens
der Einzelstaaten gegenüber ausländischem Privatrecht stellt sich bei den
zivilisierten Staaten der heutigen Staatengemeinschaft als eine notwendige
Folge der anerkannten Gleichberechtigung der Einzelstaaten dar; diese führt
notwendig zur Anerkennung eines freien Verkehrs und Anknüpfung rechtlicher
Beziehungen der Angehörigen der Einzelstaaten.3) Stellt sich nun jenes Ver-
halten als die notwendigs Folge realer Verhältnisse dar, wie diese eben in
der heutigen internationalen Rechtsgemeinschaft der Staaten gegeben sind
und denen gegenüber dem Einzelstaat die Wahl eines anderweiten Ver-
haltens nicht offen steht, so kann hier weder von bloßer comitas gentium
noch von gegenseitigen Konzessionen der Staaten) gesprochen werden. 5)
nationalen Rechtszuständen wurzelt, ist eine beschränkte Exklusivität zu unterscheiden. So
z. B. enthielt Art. 19 des sächs. Bürgerlichen Gesetzbuchs die Bestimmung: „Ausländische
Gesetze sind nicht anzuwenden, wenn deren Anwendung durch inländische Gesetze nach der
Vorschrift oder nach dem Zwecke derselben ausgeschlossen ist.“ — Vgl. neuestens Niemeyer,
Positives internat. Privatrecht I S. 8, der zur Charakterisierung der Fälle, in welchen der
Richter verpflichtet ist, im Zweifel die lex fori anzuwenden, den Ausdruck „Exklusivitäts-
prinzip“ gebraucht.
1) Mit Recht bemerkt Meili, Ztschr. f. internat. Privat- und Strafrecht I S. 165: „es
ist klar, daß für die Ordnung der privatrechtlichen Beziehungen die passende Zivilrechtsnorm,
sei sie einheimisch oder ausländisch, gesucht werden muß.“
2) „Die Zugehörigkeit zur völkerrechtlichen Rechtsgemeinschaft begründet für den ein-
zelnen Angehörigen der Verkcehrsstaaten das völkerrechtliche Indigenat.“ Stoerk,
Hll Il S. 588, 589; ihm folgend Meili a. a. O. S. 164. Vgl. auch Gareis $. 133 ff.
3) Foelix, Traite I p. 22 sq.; Story, Comment. on the confliet of Laws (1872)
Nr. 35 sq.; Kent, Commentaries upon american law (12. Aufl.) II p. 459 eq.; Phillimore,
Comm. upon international law. — Stobbe, Deutsches Privatr. I $ 29.
4) Gegen jene Auffassungen des Prinzips des internat. Privatrechts Kahn in
Ihering’s Jahrb. XXX 8. 129; Meili a. a. O. S. 163, 164; siehe auch die daselbst 8. 164
Anm. f) allegierten Aussprüche von Laurent und W. B. Lawrence in dessen Commen-
taire sur les elöments du droit intern. par H. Wheaton IIl p. 59 u. 67.
5) Rivier in seiner französ. Bearbeitung von Asser, Schets van het international
Privaatregt p. 30. Vgl. auch Gareis S. 67.