8 3. Benennung des Völkerrechts. Internat. Recht. Internat. öffentl. Recht etc. 15
Internationale und nationale Interessen treffen hier zusammen und gestalten
das Verhalten der einzelnen Staaten auf dem hier in Frage stehenden Gebiete
der Rechtspflege zu einem pflichtmäßigen. ) Aus dem Gesagten ergibt sich,
daß es sich hier um Rechtssätze handelt, die sich auf Akte einzelstaatlicher
Jurisdiktion beziehen; Gegenstand der letzteren sind nicht internationale
sondern Privatrechtsverhältnisse der oben bezeichneten Art. Jene Rechtssätze
bestimmen das örtliche Recht, welches der Richter seiner Entscheidung zu
Grunde zu legen hat. Da nun Möglichkeit und Notwendigkeit solcher Normen
(die nach dem Vorgange von Niemeyer in zutreffender Weise als „Kolli-
sionsnormen“ bezeichnet werden) auf das engste mit dem Bestande völker-
rechtlicher Ordnung zusammenhängt und diese Normen das Verhältnis des
Privatrechts „zu jedem anderen völkerrechtlich koordinierten Privatrechts-
system 2) regeln, ist die Bezeichnung als internationale erklärlich; dagegen
muß es als ein verhängnisvoller Fehler bezeichnet werden, daß sich zur Be-
zeichnung der Kollisionsnormen der technische Ausdruck „internationales
Privatrecht“ in einer Zeit eingebürgert hat, da es ein solches internatio-
nales Recht noch nicht gab. So lange nicht Kollisionsnormen aus inter-
nationalen Rechtsquellen entstanden waren, spielt das Moment der
Internationalität innerhalb der betreffenden Privatrechtsverhältnisse insofern
eine (jedoch formell nicht entscheidende) Rolle, als eben, wie oben bemerkt,
einzelne Momente des Tatbestandes mit den Rechtsordnungen verschiedener
Staaten zusammenhängen und so eine Konkurrenz der Rechtsordnungen und
mit ihr eine Kollision hervorgerufen ist. Die Kollisionsnormen selbst aber
sind nationale Normen und die auf Grund dieser Normen in neuerer Zeit aus-
gebildete Theorie, die sich die Aufgabe setzt, die aus den Beziehungen eines
Rechtsverhältnisses zu verschiedenen Rechtsordnungen sich ergebenden Kolli-
sionsnormen zu entwickeln, bildet keineswegs internationales Recht. Will
man vor der Existenz internationaler Kollisionsnormen doch schon von einem
internationalen Privatrecht sprechen, so bewegt man sich eben nicht mehr
auf dem Boden des positiven Rechts, sondern dem der Spekulation. Es ist
begreiflich, daß infolge der oft tiefgreifenden Verschiedenheit der nationalen
Kollisionsnormen und der Meinungsgegensätze in der Doktrin dieser Materie
die Praxis eine schwankende war und nicht selten Urteile hervorbrachte, die
das Öffentliche Gewissen verletzen mußten.?) Im Zusammenhang mit der
stetigen Entwicklung des Rechtsverkehrs unter zivilisierten Völkern trat das
Bedürfnis immer mehr hervor, daß die bei der rechtlichen Erledigung be-
treffender Privatrechtsverhältnisse in der Praxis hervortretenden Kollisionen
verschiedener Rechtsordnungen durch die obligatorische Anwendung gleicher
Grundsätze, d.h. gleicher Kollisionsnormen beseitigt werden; es soll vermieden
1) v. Martitza.a.0.421 und in „Kultur”der Gegenwart“ 451.
2) Rechtssätze, welche die Frage beantworten, ob sich das heimische Strafrecht nur
auf die im Inlande begangenen, oder auch auf die von Inländern im Auslande begangenen,
oder auch auf die von Ausländern im Auslande begangenen Verbrechen beziche.
3) Manicini, Journ. du dr. intern. pr. I, 236, XIII, 400; Niemeyer in Goldschmidts’
Ztschr. XLV, 157; derselbe Ztschr. f. intern. Pr.- u. Stfr. XII, 571 ff.