16 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. 8 3.
werden, daß in verschiedenen Ländern, die im engsten Rechtsverkehr stehen,
von den Gerichten nach verschiedenen, oft entgegengesetzten Kollisionsnormen
vorgegangen werde. Nach älteren Versuchen einzelner Theoretiker und inter-
nationaler Gesellschaften trat die Frage der Schaffung echter internationaler
Kollisionsnormen in das Stadium diplomatischer Verhandlungen. ) Die Be-
strebungen der holländischen Regierung, den Zusammentritt einer Konferenz
her’beizuführen, waren schließlich von Erfolg gekrönt. Die Konferenzen tagten
in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Haag auf Grund eines
klaren Programms der holländischen Regierung, in welchem auf die oft
schreienden Übelstände der bestehenden Gesetzeskollisionen hingewiesen und
der Wert einer durch konforme Kollisionsnormen gewährleisteten, überall
gleichmäßig anerkannten und sachgemäßen Entscheidung hervorgehoben
wurde. Das Ergebnis der drei ersten Konferenzen (1893, 1894, 1900) sind
(abgesehen von dem zivilprozessualen Abkommen vom 14. November 1896) die
am 12. Juni 1902 unterzeichneten Konventionen, betreffend die Eheschließung,
Ehescheidung, Ehetrennung und Vormundschaft über Minder-
jährige. Auf diesem Wege wurde echtes internationales Privatrecht ge-
schaffen, denn die für die bezeichneten Materien durch Kollektivverträge der
Mächte geschaffenen Kollisionsnormen beruhen auf der internationalen
Quelle rechtsetzender Verträge.
IV. In hervorragendem Maße ist die Strafrechtspflege der Staaten von
den Konsequenzen völkerrechtlicher Ordnung und dem Bewußtsein der Soli-
darität der von den Einzelstaaten durch die spezifischen Mittel des Strafrechts
zu schützenden Interessen beherrscht. Auch hier weist das moderne Recht
intensive Beziehungen wichtiger Aufgaben des einzelnen Staats zu den ana-
logen Aufgaben der koexistierenden staatlichen Gemeinwesen, deren Rechts-
ordnung und den unter den Schutz aller zivilisierten Gemeinwesen gestellten
Rechtsgütern auf. Aufgabe der einzelnen Staaten ist es, in ihren nationalen
Strafgesetzgebungen das Geltungsgebiet ihres Strafrechts der koexistierenden
Strafgewalt anderer Staaten gegenüber zu bestimmen.?2) In diesen Rechts-
sätzen kommt der prinzipielle Standpunkt zum Ausdruck, den der einzelne
Staat gegenüber den Forderungen seiner Stellung innerhalb der internationalen
Gemeinschaft einnimmt. Je nach der Verschiedenheit des Standpunkts ist die
Umgrenzung der Strafkompetenz in den einzelnen Strafgesetzgebungen eine
verschiedene.) Trotz der lJandesrechtlichen Autorität‘) jener Rechtssätze
empfiehlt sich die heute vorherrschende Bezeichnung internationales Straf-
recht. Zum internationalen Strafrecht in diesem Sinne gehören auch die
1) Vgl. darüber Kahn, Die einheitliche Kodifikation 4ff. Dazu meine Abh. über
Kodifikation des intern. Privatr. in Kritische Vierteljahresschrift N. F. XI.
2) Vgl. die Kritik der verschiedenen Prinzipien der Umgrenzung bei v. Rohland,
Internnat. Strafrecht S. 3ff.
3) Vgl. v. Martitza.a.0. 8.421, 425; v. Liszt, Ztsehr. f. d. ges. Strafrw. II S. 52
(wo auf die logische Unmöglichkeit. z. B. von einem „deutschen internationalen“ Strafrecht
zu sprechen, aufmerksam gemacht wird).
4) Vgl. v. Martitza.a.0. S. 425 und die Ausführungen über das Gesamtsystem des
internationalen Strafrechts S. 426ff. Vgl. auch v. Rohland, Intern. Strafr. 8. 2.