$ 71. Die Staatsverträge. Begriff und Natur der Staatsverträge. 2419
Mit privatrechtlichen Anschauungen hängt es zusammen, wenn das objektive
Vertragsrecht für privatrechtliche und Staatsverträge gleichartig aufgefaßt
wird. Für erstere ist das objektive Vertragsrecht in der Privatrechtsordnung
des Staates gegeben; für die Staatsverträge gibt es allerdings auch ein objek-
tives Vertragsrecht, nach welchem derlei Verträge zu beurteilen sind; allein
es trägt die Eigenart der Entstehung und praktischen Geltung des Völker-
rechts, als dessen Bestandteil es erscheint, an sich 1). Während im Privatrecht
für die Kontrahenten die staatlichen Vertragsnormen maßgebend sind, setzen
die kontrahierenden Staaten sich diese Normen in den Verträgen als Akten
selbstverpflichtenden Willens; bei der Anwendung der Rechtsform des Vertrages
bringen die Staaten die Erkenntnis der allgemeinen Natur des Vertrages und
ihrer logischen Konsequenzen unmittelbar zum Ausdruck und zu wirksamer
Geltung. Die bei diesen Selbstverpflichtungsakten regelmäßig beobachteten
Regeln ermangeln nicht des Charakters der Objektivität, denn einerseits sind
sie der Natur des Vertrages (der Natur der Sache) entlehnt; anderseits haben
wir uns diese Regeln, weil als Konsequenz der Natur der Sache von den
kontrahierenden Staaten angewendet, zugleich als von ihnen anerkannte
bindende Norm vorzustellen.
III. Die Möglichkeit von Staatsverträgen hängt auf das engste mit
den Voraussetzungen zusammen, auf denen das Völkerrecht selbst beruht. Weil
der Staat durch maßgebende Willenserklärungen — durch seine Normen — sich
selbst verpflichten kann, so kann er sich auch im Verkehr nach außen Normen
setzen, die sein Verhalten konstant oder für die Dauer des betreffenden Rechts-
da vielfach auf Gründe, die der privatrechtlichen Anschauung entlehnt sind, Bezug genommen
wird. — Diese Einschränkungen sind in der Tat so bedeutsam, daß eher die prinzipielle
Ablehnung jeder derartigen Analogie hier erwartet werden sollte. — Daß ältere Schriftsteller,
wie Grotius, Pufendorf u. A. auch in der Lehre von den Staatsverträgen an den Kate-
gorien des Privatrechts festhielten, erklärt sich aus der herrschenden Bedeutung des römischen
Rechts, wo diese Kategorien ihre Ausbildung gefunden hatten.
ı) Der von Jellinek, Staatenverträge S. 4 ausgesprochene Satz, daß Staatenverträge
nur dann einen rechtlichen Charakter haben können, wenn Normen existieren, welche über
den Verträgen stehen — findet in einer neueren Arbeit desselben Verf. „System der sub-
jektiven Öffentlichen Rechte“ eine Ergänzung oder vielleicht Reformierung. Hier sagt Jel-
linek, daß die Frage nach der Entstehungsquelle des objektiven Vertragsrechts nur durch
die Erkenntnis gelöst werde, „daß der Vertrag eine allgemeine Rechtsform ist und daher
gewisse allgemeine Elemente vorhanden sind, die auch ohne ausdrückliche Anerkennung durch
den Gesetzgeber objektives Vertragsrecht bilden. So ist auch aus dem allgemeinen Wesen
des Vertrages das objektive Recht der völkerrechtlichen Verträge deduziert worden, über
welches niemals ausdrückliche Vereinbarungen stattgefunden haben“. — Nippold (a. a. O.
S. 35 ff.), der dieser Frage eingehend näher getreten ist, geht davon aus, daß im Völkerrecht,
nicht im Privatrecht, durch Vertrag Rechtssätze geschaffen werden können; daher künnen
auf demselben Wege auch Normen des völkerrechtlichen Vertragsrechts erzeugt werden. Um
zur Existenz zu gelangen, bedürften aber diese Normen nicht der jedesmaligen Fixierung
durch Vertrag, bezw. in dem betreffenden Vertrage: sie existieren als allgemeine Vertrags-
grundsätze kraft des Willens der Staaten auch ohne besondere Verträge. In der Form des
Vertrages können „nicht nur zwischenstaatliche Befugnisse, sondern auch objektive Rechts-
sätze begründet und daher möglicherweise auch die Normen gesetzt werden, nach denen
völkerrechtliche Verträge im allgemeinen zu beurteilen sind“ (5. 8%. Vgl. übrigens auch
noch Jellinek, Staatenverträge S. 51.