18 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. g4.
Rechts im Bereich der staatlich geordneten Volksgemeinschaft mit der Bildung
von Regeln für die Beziehungen der Staaten und Völker unter einander, so
ergibt sich, daß auch hier die realen Voraussetzungen der Bildung von
Rechtssätzen vorliegen; auch hier bildet sich unter dem Einfluß der
Lebensverhältnisse das Bewußtein der Gleichartigkeit und Gemeinsamkeit der
mit jenen Verhältnissen verknüpften Interessen und sohin die Überzeugung
von der Notwendigkeit praktischer Geltung von Normen, welchen die Aufgabe
zukommt, die äußeren Bedingungen der gedeihlichen Entwicklung menschlicher
Lebensverhältnisse zu sichern. ') Dabei müssen wir uns allerdings die Eigenart
des Bildungsprozesses des Rechts im internationalen Leben und die durch den
Unterschied festgefügter staatlicher Gemeinschaft und der eine feste staatliche
Organisation prinzipiell ausschließenden internationalen Gemeinschaft bestimmten
Voraussetzungen der praktischen Geltung und Realisierbarkeit von Völkerrechts-
sätzen vor Augen halten. Indessen, so groß dieser Unterschied ist, so schließt
er doch nicht die Möglichkeit und Herrschaft von Normen des internationalen
Lebens aus, denn eine Beschränkung der Bildung von Rechtssätzen und ihrer
Bewährung im praktischen Leben auf den Staat und seine festgefügten Ein-
richtungen wäre augenscheinlich doch nur zulässig, wenn die Kriterien des
Rechts, die wir an der Hand der Beobachtung der Erscheinungen der in
langer historischer Entwicklung entstandenen und bewußt durchgebildeten
Rechtssysteme der zivilisierten Staaten gewinnen, einzig und allein den Maß-
stab für die Beantwortung der Frage bilden dürften, ob eine Regel des Ge-
meinlebens (wie immer dasselbe gestaltet sein möge) als Rechtsregel aufzu-
fassen sei. Die Leugner des Völkerrechts sind geneigt, diese Frage nach dem
Maßstabe zu beantworten, den das entwickelte Rechtsleben der zivilisierten
Staaten bietet; hier beruht die Bildung und Verwirklichung des Rechts auf
der verfassungsmäßigen Organisation der Staatsgewalt in der Richtung der
Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Exekutive. Allein dieser Zustand
ist das Ergebnis einer langen geschichtlichen Entwicklung und keineswegs
der ursprüngliche. Eine Betrachtung der Entstehung und praktischen Geltung
des Rechts, welche nur die Erscheinungen der Perioden intensiveren Ausbaues
nationaler Rechtsordnungen ins Auge faßt, ist nicht zutreffend, weil sie auf
eine erschöpfende Würdigung der Tatsachen menschlichen Gemeinlebens ver-
zichtet. Zu diesen gehören aber außer den Erscheinungen des geltenden
Rechts auch jene der primitiven Stufen der einzelnen Volksgemeinschaften
und gewiß auch die Erscheinungen des Verkehrs der Völker unter einander,
ihre vorübergehenden und (auf den höheren Stufen des internationalen Ver-
kehrs) dauernden Beziehungen und Einrichtungen. Nur so viel ist anzuer-
vention vom 22. August 1864 und die Additionalartikel vom 20. Oktober 1868 (Martens,
N.R. g. XVII p. 607, XX p. 375ff.). Ferner kommt hier der strafrechtliche Schutz völker-
rechtlicher Interessen, den die Landesstrafgesetzgebung gewährt, in Betracht. Vgl. darüber
v. Martitza.a.0. S.60, 61; Geffcken zu Heffter $ 104 bezüglich der Piraterie. Mit voller
Bestimmtheit tritt das oben bezeichnete Streben der Mächte ncuestens in den Beschlüssen der
Haager Konferenzen der Jahre 1509 und 1907 hervor.
t) Vgl. Regelsberger, Tandckten S. 68; siche auch das das. S.83 Nr. 4 Gesagte.