256 Viertes Buch. Mittel des rechtlichen Verkehrs der Völkerrechtssubjekte. $ 15.
liche Momente in Betracht zu ziehen und zwar vor allem bezüglich der bei
diesem Vorgang zum Handeln berufenen Personen und der rechtlichen Voraus-
setzungen der Wirksamkeit ihrer Handlungen. Da der Abschluß eines Staats-
vertrages ein völkerrechtlicher Vorgang ist, so wird die Beantwortung der
Frage, wer zum Abschluß berechtigt ist, nicht wohl einseitig und ausschließlich
vom staatsrechtlichen Standpunkte erfolgen können. !)
Denkt man sich den Fall des Abschlusses eines Staatsvertrages zwischen
zwei Staaten, deren Oberhäupter (wie in der absoluten Monarchie) das volle
Repräsentationsrecht besitzen und geht man zugleich von dem (in der Praxis
der neueren Staaten selten vorkommenden)?) Falle aus, daß die Oberhäupter
selbst die Verhandlungen pflegen und den für den Abschluß des
Vertrages völkerrechtlich maßgebenden Willensakt setzen, so ge-
winnt man den praktisch einfachsten und juristisch typischen
Vorgang des Abschlusses eines Völkervertrages: die für den Vertrag
entscheidende Erklärung der Willenseinigung zweier Staaten erfolgt. durch die
zu dieser Handlung berufenen Hauptorgane des Staates als Träger des
völkerrechtlichen Verkehrs; die beteiligten Organe sind in ihrer Eigen-
schaft als absolute Souveräne staatsrechtlich und völkerrechtlich zweifellos
zum Abschluß des Vertrages legitimiert, oder mit anderen Worten, die Frage,
ob die Legitimation dieser Organe an rechtliche Voraussetzungen geknüpft
sei, wird hier nicht aufgeworfen werden können. Allein für die praktischen
Verhältnisse und auf dem Boden des geltenden Rechts der mo-
dernen Staaten kompliziert sich die Erörterung des vorliegenden Gegen-
standes; in ersterer Beziehung ist nämlich zu beachten, daß die Verhand-
lungen, welche dem für den Vertragsabschluß maßgebenden Akte (dessen
Subjekt nur die zu diesem Akte — der Ratifikation — legitimierten Staats-
organe sein können) voraufgehen, von staatlichen Hilfsorganen, z. B.
Ministern, Gesandten, überhaupt Bevollmächtigten, geführt werden. In
der zweiten Richtung kommt das moderne Verfassungsrecht in Betracht, welches
in den einzelnen Staaten in verschiedenem Umfang die Legitimation des Trägers
des völkerrechtlichen Verkehrs zum Abschluß von Staatsverträgen ver-
fassungsrechtlich durch Statuierung eines Rechts der Beteiligung (Genehmigung,
Zustimmung) der Volksvertretung (überhaupt einer repräsentativen Körperschaft
im Staate) beschränkt.3) Hieraus ergibt sich, daß in der heutigen Praxis
mit Bezug auf den Abschluß von Völkerverträgen die Frage der Legitimation
zur Beteiligung an dem Abschluß in doppelter Richtung aufzuwerfen ist: ein-
1) Tezner (in Grünhut’s Zeitschrift XXI S. 124 ff.) rügt mit Recht jene Einseitigkeit.
Ernst Meicr a. a. O. S. 91 betont zur Charakteristik der völkerrechtlichen Literatur über
diese Frage, daß sie von den meisten Schriftstellern vom völkerrechtlichen Gebiet auf das
staatsrechtliche verwiesen wird. — Gegen diesen Vorgang neuestens Nippuld (a. a. O.), der
mit scharfer Sonderung der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Momente die vorliegende
Frage einer eingehenden Untersuchung unterzogen hat (S. 113 ff.).
2) Die heilige Allianz (Paris 1614) wurde von den Souveränen Österreichs, Rußlands
und Preußens persönlich geschlossen. An dem Abschluß des Präliminarfriedens von
Villafranca am 24. Juni 1559 waren die Souveräne Österreichs und Frankreichs persönlich
beteiligt. 3) Vgl. neuestens Oppenheim I & 497.