Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

260 Viertes Buch. Mittel des rechtlichen Verkehrs der Völkerrechtssubjekte. $ 75. 
  
Obzwar diese staatsrechtlichen Normen an sich keine formelle Bedeutung für 
das Völkerrecht beanspruchen können, muß doch im Auge behalten werden, 
daß sie sich auf die Betätigung des Staatswillens nach außen beziehen und 
praktisch eine Bedeutung für den Vertragsabschluß gewinnen können. Es ist 
insbesondere zu beachten, daß, wie schon oben bemerkt wurde, in dem abzu- 
schließenden Vertrage der wahre Wille der Kontrahenten zum Ausdruck kommen 
soll; es können daher die für die Bildung des Staatswillens auf Seite jedes 
der beiden Kontrahenten nach ihrem Verfassungsrecht maßgebenden Vorschriften 
für die Frage des gültigen Zustandekommens eines Vertrages nicht ohne Be- 
deutung bleiben. Die Frage der Gültigkeit eines Staatsvertrages ist eine 
einheitliche; entweder ist ein Staatsvertrag zustande gekommen oder er ist es 
nicht ). Beziehen sich also betreffende Vorschriften des Verfassungsrechts auf 
die Bildung des Staatswillens, indem das Zusammenwirken mehrerer Organe 
erfordert wird), so schließt der Mangel dieses Zusammenwirkens die Bildung 
des Staatswillens selbst aus und der von dem kontrahierenden Organe be- 
kundete Wille ist nicht der für den Vertrag maßgebende Staatswille?); es 
kommt weder vom völkerrechtlichen noch vom staatsrechtlichen Standpunkte 
ein Vertrag zustande: der Vertrag ist ungültig!) wenn der Mangel nicht. 
nachträglich saniert wird 5). Dagegen berühren staatsrechtliche Mängel anderer 
Art, insbesondere der Mangel der nachträglichen Beteiligung der Vulksver- 
tretung an den zur Vollziehung des Vertrages notwendigen Akten ®), die völker- 
rechtliche Wirksamkeit des Vertrages in keiner Weise; überhaupt komnit. 
staatsrechtlichen Sätzen keine völkerrechtliche Bedeutung zu’), ausgenommen 
jenen, welche die rechtliche Entstehung des Vertrages berühren®). In den 
Fällen, in welchen das zur Vertretung des Staates nach außen berufene Organ 
an die Zustimmung eines anderen Organs gebunden ist, ist gleichwohl das 
erstere dasjenige, welches den Vertrag schließt). Die Dispositionsfähigkeit 
  
1) Vgl. insbes. Ernst Meier a. a. O.; Unger a. a.0. S. 349, 351ff.; Leonia. a. 0. 
S. 498: Nippold a. a. O. S. 143. 
2) Unger a. a. O. S. 351 verweist auf analoge Fälle des Privatrechts, in denen zur 
Gültigkeit eines Geschäfts, insbesondere eines Vertrages, die Zustimmung eines Dritten cer- 
forderlich ist. 3) Vgl. Jellinek, System S. 215; Seligmann a a. 0. S. 50. 
4) Zu anderen Resultaten müssen Jene gelangen, welche die Ratifikation als durch- 
sgreifenden Verpflichtungsgrund betrachten. Vgl. im gauzen noch Despagnet, Les diffi- 
eultös internationales venant de la constitution de certains pays RG II, 184 sy. 
5) Unger a. a. 0. S. 352. 6) Indirckte Mitwirkung. 
7) Vgl. Tezner a. a. O0. S. 143. 
8) Über die Versuche, eine allgemeine Bedeutung staaggechtlicher Vorschriften über 
dio Beschränkung des Rechts zur Abschließung von Staatsverträgen auf einen völker- 
rechtlichen Rechtssatz zurückzuführen, siche Nippold a. a. O0. S. 149 ff. 
y) Ungera. a. 0.8. 552 gegen Ernst Meier a. a. 0. S. 108, 218, 281, der die 
Kammern als Organe der vertragschließenden Gewalt erklärt. Unger bemerkt mit Recht: 
„Die Volksvertretung hat auch in diesen Fällen keinerlei Anteil an der Schließung des Ver- 
trages; ihre Teilnahme und Mitwirkung ist lediglich eine akzesssorische, welche die prinzipale 
Aktion des kontrabierenden Staatsoberhauptes ergänzt und vervollständigt. Die Volks- 
vertretung wirkt nicht beim Abschluß mit; sie ermöglicht den Abschluß, aber sie bewirkt 
ihn nicht.“
	        
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