Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

& S5. Dauer, Bestätigung, Erneuerung, Wiederherstellung etc. der Staatsversträge. 285 
  
Bestimmungen des Vertrages nicht als Bruch des ganzen Vertrages anzusehen 
sei. — Der Bruch des Vertrages bewirkt übrigens nicht schon ipso jure das 
Erlöschen des Vertrages, daher hat der verletzte Kontrahent die Wahl, mit 
den ihm zur Verfügung stehenden völkerrechtlich zulässigen Mitteln die Er- 
füllung des Vertrages und eventuell Entschädigung zu erzwingen oder den 
Vertrag aufzulösen. Der Rücktritt wird in Fällen des Vertragsbruchs aus- 
geschlossen sein, wenn der betreffende Vertrag Gegenstand einer Garantie ist. 
In derlei Fällen sind die Garanten verpflichtet, „den Vertragsbruch zu ver- 
hindern, und wo derselbe bereits zur Tatsache geworden ist, dagegen einzu- 
schreiten“). — Das Mittel, den Rücktritt in der Form Rechtens zu bewirken, 
ist die Kündigung. 
2. Die Veränderung der Umstände, unter denen der Vertrag 
ursprünglich abgeschlossen war — ein Endigungsgrund der (unbe- 
fristeten) Verträge, der wegen seiner singulären und im Hinblick auf das privat- 
rechtliche Vertragsrecht anomalen Natur Gegenstand vielfacher Erörterung ?) 
geworden ist und auch als ein Argument gegen das Völkerrecht verwertet 
wird. Indessen, die Natur des Staates, die Abhängigkeit der Erfüllung und 
Förderung des Gemeinzwecks von den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen 
und die sich daraus ergebende Unmöglichkeit, die im Laufe der Geschichte sich 
vollziehende Entwicklung des staatlichen Lebens durch unabänderliche Verträge 
zu bemmen oder gar unmöglich zu machen, drängen zu einer singulären Ge- 
staltung des völkerrechtlichen Vertragsrechts in dem hier in Frage stehenden 
Punkte. In Folge veränderter Umstände kann die Erfüllung eines Vertrages 
mit den primären Interessen des Staates, ja mit seiner Selbsterhaltung in 
Kollision treten und eine Notlage entstehen, welche die Erfüllung unmöglich 
macht. Ist diese Klausel in einem Vertrage ausdrücklich aufgenommen, so 
unterliegt es keinem Zweifel, daß eine Veränderung wesentlicher Umstände, 
unter denen der Vertrag abgeschlossen worden war, zur Aufhebung des Ver- 
trages (durch Kündigung) berechtigt. Ist eine derartige Bestimmung nicht 
aufgenommen, so wird derzeit allgemein angenommen, daß Verträge unter der 
stillschweigenden Klausel rebus sic stantibus bindend abgeschlossen werden?). 
Allgemeine Regeln, nach denen die Frage, ob die Voraussetzungen gegeben 
sind, welche die Klausel berühren, lassen sich allerdings nicht feststellen. Im 
ganzen läßt sich eben nur sagen, daß nicht jede Veränderung, insbesondere 
aber nicht ein veränderter politischer Standpunkt der Partei diese berechtigen 
  
1) Nippold a. a. O. S. 244. Derselbe knüpft an diesen Satz die für die Weiter- 
gestaltung des Völkerrechts zutreffende Bemerkung, daß durch Vermehrung der Vertrags- 
garantien die Endigung der Verträge durch Rücktritt infolge Vertragsbruchs mit der Zeit 
praktisch in den Hintergrund treten würde. 
2) Bynkershoek, Quaestiones juris publ. II, cap. X verneint die Möglichkeit eincs 
solchen Vorgangs schicchthin. Der Vertrag könne in den hier in Frage stehenden Fällen 
nur durch gemeinsame Übereinkunft aufgelöst werden. — Vgl. im ganzen neuestens Cavag- 
lieri, La funzione della clausula „R. s. st.“ etc. (1903); Bruno Schmidt, Über die_völkerr. 
Clausula „R. 8. st.“ usw. (1907). 
3) Unbegründet ist die Polemik Bluntschli’s, Völkerrecht 88 456ff., gegen die Auf- 
fassung der Klausel als einer stillschweigenden. Richtig dagegen Nippold.a.a. 0. 238, 239.
	        
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