Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

286 Viertes Buch. Mittel des rechtlichen Verkehrs der Völkerrechtssubjekte. 8 55. 
  
könnte, ein lästig gewordenes oder nachteilige Wirkungen äußerndes Vertrags- 
verhältnis aufzuheben '), Jedenfalls handelt es sich um eine Ausnahme von 
der Regel, daß Verträge erfüllt werden müssen; daher wird man im Zweifel 
bezüglich der Vorfrage sich für die Gültigkeit der Verträge aussprechen 
müssen. Liegen objektiv solche Veränderungen vor, welche die Anwendbarkeit 
der Klausel rechtfertigen können und sind dieselben überzeugend dargetan, so 
ist der Vertrag nicht schon ipso jure als erloschen anzusehen; es liegt vielmehr 
in den Bedingungen eines rechtlich geordneten Staatenverkehrs die Forderung, 
daß in einem selbständigen Akte der Wille, das bestehende Vertragsverhältnis 
aufzuheben, der Gegenpartei zum Ausdruck gebracht wurde, nämlich durch 
Kündigung des Vertrages?) Eine einseitige Aufhebung des Vertrages 
durch den Kontrahenten widerspricht dem Grundsatz der Heiligkeit der 
Verträge’). 
VII. Durch den Ausbruch des Krieges zwischen den Kotrahenten 
erlöschen gewisse politische Verträge. 
  
1) Veränderungen der Verfassung oder der Staatsform rechtfertigen an sich keines- 
wegs die Aufhebung des Vertrages. Gareis $ 75; Bluntschli, Völkerrecht $ 416; Nip- 
pold.a a 0. 240. 
2) Die Kündigung fungiert hier zugleich als Mittel der Verhütung des hier allerdings 
sehr nahe liegenden Mißbrauchs. In der Tat ist auch in der Praxis mit der Klausel rebus sic 
stantibus viel Mißbrauch geübt worden. — Ein neuerer Fall der Endigung eines Vertrages 
wegen der Veränderung der Umstände ist das Vorgehen Rußlands im Oktober 1870 bezüglich 
der Bestimmungen des Pariser Vertrages vom Jahre 1856 betreffend die Neutralität des 
schwarzen Meeres und die Beschränkung der russischen Kriegsmarine. Es ist schon an anderer 
Stelle bemerkt worden, daß die Mächte auf der Londoner Konferenz beı der im Sinne der 
russischen Wünsche erfolgten Erledigung dieser Angelegenheit Anlaß genommen hatten, die 
Regel, daß Verträge nicht einseitig aufgehoben werden können, feierlich zu bekräftigen. Gegen- 
über der eigenmächtigen Aufhebung der Art. 11, 13 und 14 des Pariser Vertrags vom 30. März 
1856 und des russisch-türkischen Meerengenabkommens vom selben Tage äußerte sich Gran- 
ville in seiner Depesche an Buchanan folgendermaßen: „Das Vorgehen Rußlands vernichtet 
alle Verträge; jeder Vertrag bezweckt, die Vertragschließenden gegeneinander zu binden, nach 
russischer Auffassung dagegen unterwirft sich jede Partei ihrer eigenen Autorität und hält 
sich nur sich selbst gegenüber für verpflichtet.“ Indessen, das Vorgehen Rußlands erklärte 
sich damals sachlich aus den in der Tat seit 1856 eingetretenen wirklichen Veränderungen 
der Umstände und der Lage der Dinge in Europa 1870, war also erklärlich, wenngleich for- 
mell bedenklich. 
3) Der Konsens kann auch stillschweigend erklärt werden. Beispiel: Rußland hat sich 
unter Berufung auf eine Veränderung der Umstände in einer Note (und Memorandun) an die 
Signatarmächte des Berliner Vertrages vom Jahre 1878 von der Bestimmung des Art. 59 (betr. 
Batum) losgesagt. England allein hat protestiert. — Siehe G. Rolin-Jaequemyns, XIX 
p. 37 sq.
	        
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