292 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. 8 87.
wurde. Dagegen unterliegen Verletzungen der polizeilichen Ordnung, sowie
anderer Rechte und Interessen des Uferstaates oder seiner Angehörigen (außer
Bord des Schiffes) der Jurisdiktion des Uferstaates. Zur Wahrung der Ordnung
und Sicherheit innerhalb des Küstengewässers hat der Uferstaat folgemäßig
das Recht, Schiffe, die sich der Verletzung dieser Ordnung oder eines seiner
Jurisdiktion unterliegenden Delikts schuldig gemacht haben, festzuhalten be-
ziehungsweise zum Zwecke der Festnahme über die Grenze des Küstenmeeres
in das offene Meer zu verfolgen.
Die exklusive Autorität des Uferstaates in den oben gedachten Richtungen
bildet eine Ausnahme von dem Grundsatze der Freiheit des Meeres.
Dieser Umstand ist insbesondere von Bedeutung für die wichtige Frage: wie
weit erstreckt sich das Küstenmeer von der Küste ab in das
Meer? Das positive Völkerrecht kennt derzeit noch keine allgemeine und
allseitig anerkannte Regel!, Doktrin und Praxis sind schwankend. Die
nationale Gesetzgebung und das konventionelle Recht folgen keiner einheit-
lichen Maxime; erstere bietet ein vielgestaltiges Bild von Ansprüchen auf
eine möglichst weitgehende Ausdehnung des Küstenmeeres nach der hohen
See?2. Die Natur der Sache fand theoretischen Ausdruck in dem von Byn-
kershoek*) 1702 ausgesprochenen Grundsatze: Terrae dominium finitur ubi
finitur armorum vis. Die hier in Frage stehenden Rechte des Uferstaates
reichen nach diesem Grundsatze so weit, als das Küstengewässer vom Strande
aus mittels Strandbatterien beherrscht werden kann. Allerdings ist die auf
Kanonenschußweite basierende Grenze keine ein für allemal feststehende,
sondern abhängig von der Tragweite der Geschütze in einer bestimmten Periode.
Dieser Umstand rückt das Bedürfnis nach allgemein verbindlicher Regelung
der Frage in den Vordergrund; nur eine ziffermäßige Feststellung der
Grenze des Küstenmeeres bietet eine sichere Grundlage für die Entscheidung
von Streitfällen in Friedens- und Kriegszeiten. Zunächst hatten nationale
Gesetze und Konventionen der Staaten, sowie die Völkerrechtsdoktrin eine
feste Entfernung von drei Seemeilen (sog. Dreimeilengrenze) angenommen;
1) Das Bedürfnis einer solchen Regel ist allgemein anerkannt. Das Institut für intern.
Recht hat schon in seiner Gonfer Session (1892) die Frage zum Gegenstande eingehender
Untersuchung gemacht und gelangte in der Pariser Session zu einer Reihe von Beschlüssen
(Annuaire XI]I p. 281 sq.; die Beschlüsse p. 328 sq.; die Verhandlungen der Genfer Session
XII p. 104 eq.).
2) Es wurden Entfernungen von 30, 60, ja selbst 100 Seemeilen in Anspruch genommen.
Exorbitante Ansprüche wurden insbesondere von England erhoben. England und Nordamerika
bestimmten vielfach die Seegrenze des Küstenmeeres durch eine Linie, die von Vorgebirge
zu Vorgebirge gezogen wird, die sog. King’s oder Qucen’s Chambers. Obwohl der neueste
legislative Akt Englands über diesen (Gegenstand, die Territorial Waters Jurisdiction Act
vom Jahre 1878, lediglich eine Seegrenze von 3 Meilen fixiert, werden die Ansprüche auf die
King’s oder Queen’s Chambers als auf unvordenklichem Besitz beruhend (immemorially) doch
noch heute behauptet. — Ferner erhebt Nordamerika u. A. Anspruch auf jenen Teil des
Golfs von Mexiko, dessen Scegrenze gebildet wird durch eine von der Mündung des Missi-
sippi bis zur Südspitze von Florida gezogen gedachte Linie. Kent, Commentaries on
American Law I 29 sq. (12. Aufl. — Ygl. übrigens F. v. Martens in der RG I p. 37, 38.
3) De dominio maris cap. Il.