24 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. S4.
befehls als singuläre Erscheinungen dar!), denen gegenüber hinwieder die
Unentbehrlichkeit von Mitteln, das Recht gegen den unbotmäßigen Willen
durchzusetzen, hervortritt. Die Verknüpfung von Rechtssanktionen und Rechts-
zwang mit den primären Imperativen des Rechts ist also zweifellos ein sekun-
därer Vorgang in der Entwicklung der Rechtsidee im praktischen Gemein-
leben. Die in der Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit (Notwendigkeit) be-
treffender Normen liegenden Motive der Befolgung erfordern gegenüber dem
möglichen widerstrebenden Einzelwillen eine Verstärkung (durch Bedrohung
der Übertretung der Norm mit Vollstreckung oder Strafe — eventuell wirk-
liche Vollstreckung oder Strafvollzug).2) Das Maß und die Art der Ver-
stärkung dieser Motive sind aber selbst wieder, wie die Ausgestaltung der
Rechtsordnung im ganzen, das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung und
keineswegs zu allen Zeiten dieselben; sie hängen mit dem bewußten Ausbau
jener Einrichtungen zusammen, die jeweilig als wirksame Bedingungen stabiler
Herrschaft des Rechts erkannt werden — mit anderen Worten: der Zwang
und die auf diesen sich beziehenden Rechtssätze sind lediglich eine Begleit-
erscheinung der Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte, das konstante
und stabile Moment alles menschlichen Gemeinlebens sind aber die Normen
für das Verhalten der Glieder betreffender Gemeinwesen. Im Hinblick auf
den jeweiligen praktischen Zustand einer Rechtsordnung und die sich darin
vorfindende Duplizität von erzwingbaren und nicht erzwingbaren Normen mag
man von vollkommenen und unvollkommenen Normen sprechen; die Unvoll-
kommenheit der Normen entzieht ihnen aber keineswegs die Rechtsqualität.
Ebenso können wir auch nur vom Standpunkte des jeweiligen Zustandes einer
konkreten Rechtsordnung den Satz aufstellen: je vollkommener und durch-
gebildeter eine Rechtsordnung ist, desto mehr wird sich der Kreis der unvoll-
kommenen Rechtsvorschriften einengen.
Wie auf anderen Gebieten des Gemeinlebens tritt die Notwendigkeit des
Zwangs auch im internationalen Leben nur in singulären Fällen hervor; die
neuere Gestaltung des Völkerlebens ist in den Regelerscheinungen getragen
von der das gemeinsame Rechtsbewußtsein der Staaten konstant zum Aus-
druck bringenden freiwilligen Erfüllung der gegenseitigen Verbindlichkeiten. 3)
Nichterfüllung internationaler Verbindlichkeiten, Verursachung von Ver-
letzungen der Träger internationaler Rechte und der unter den Schutz des
Völkerrechts gestellten Interessen haben, wie auf anderen Gebieten des Rechts,
die Anwendung von Zwang zur Folge, dessen Gestaltung allerdings wegen
der Eigenart des internationalen Gemeinlebens in anderer Art stattfindet, als
im Privatrecht, Strafrecht u.s.w. Vor allem fehlt auch im Völkerrecht nicht
die Wirksamkeit kompulsiven Zwangs; nur äußert er sich formell in an-
derer Weise als auf anderen Gebieten.‘) Aktives und passives Verhalten eines
Staates, das mit den Interessen dritter Staaten oder den Forderungen des
1) Siehe oben 8. 21, 22. 2) Vgl. Thon a. a. O0. S. 246, 247.
3) Im Übrigen hat die Scheu vor den unvermeidlichen Gefahren des Krieges zu allen
Zeiten ale Motiv der Erfüllung völkerrechtlicher Verbindlichkeiten gewirkt.
4) Androhung von Rechtsfolgen und von Strafen im internen Recht der Staaten.