Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 101. Das offene Meer. 325 
  
offenes Meer zur Bezeichnung der großen, zusammenhängenden Wassermasse 
gebraucht, die im ganzen und in einzelnen Teilen individueller staatlicher 
Herrschaft nicht zugänglich ist, dagegen ein wichtiges Objekt internationaler 
Rechtsverhältnisse bildet. Zum offenen Meer in dem hier in Frage stehenden 
Sinne gehören auch mit dem Weltmeere durch Meerengen zusammenhängende, 
von Landgebiet umschlossene Wassergebiete !). 
ll. Die völkerrechtliche Bedeutung des offenen Meeres findet in der 
Neuzeit ihren Ausdruck in dem Prinzip der Meeresfreiheit — einem Prinzip, 
das trotz seiner Selbstverständlichkeit das Ergebnis eines langwierigen 
literarischen und diplomatischen Kampfes gegen angebliche rechtliche Ansprüche 
einzelner Mächte auf Beherrschung des Meeres, einzelner Meeresteile und der 
großen Seewege ist. Der Sieg jenes Prinzips erfolgte erst in der Zeit der 
Herrschaft der völkerrechtlichen Idee. Die dieser Epoche voraufgehenden 
Prätensionen haben einen verschiedenen Charakter. Der Anspruch der römischen 
Imperatoren auf die Beherrschung des Weltmeeres?) — ein Ausfluß der Idee 
der römischen Weltherrschaft — kann zu dem Völkerrecht in keine Beziehung 
gebracht werden, da dem Altertum die Voraussetzungen eines Völkerrechts 
fehlen. Die analoge Prätension des römisch-deutschen Kaisers im Mittelalter 
wurzelt allerdings auch in einem Anspruch auf Weltherrrschaft; sie charakte- 
risiert sich aber schon dadurch, daß sie mit der allmälich in das Bewußtsein 
der Völker eintretenden Grundlage des Völkerrechts — der Anerkennung der 
Gleichberechtigung wenigstens der christlichen Völker — in Widerspruch 
steht. Dasselbe gilt von den Ansprüchen der päpstlichen Gewalt im Zeitalter 
der Entdeckungen. Dieser Widerspruch tritt in der folgenden Zeit umso 
schärfer hervor, als die Weltanschauung, auf der die Idee der kaiserlichen 
und päpstlichen Weltherrschaft entstehen konnte, überwunden war. Um be- 
treffende Prätensionen zu stützen, beriefen sich die Staaten unter anderem auf 
den von ihnen gewährleisteten Schutz gegen Seeraub. Die Ansprüche der 
einzelnen Mächte kamen in verschiedener Form zum Ausdruck. Am weitesten 
gingen die Ansprüche Spaniens und Portugals nach der Entdeckung der neuen 
Welt; sie suchten in den von ihnen beherrschten Gebieten jede fremde Flagge 
fernzuhalten. Diese maßlose Prätension veranlaßte selbst die Königin Elisabeth 
von England, über die Beschwerde des spanischen Gesandten Mendoza (1580) 
gegen die Entdeckungsreise Drake’s im stillen Ozean zu einer solennen Er- 
  
origines 2 Bde. (1862); Nys, Les origines de droit international (1894) 377 eq.; Castel, Du 
principe de la libert€ des mers (1900); Hall $ 40; Westlake I, 161sq.; Phillimore I 
$8 172 54.; Walker, Science 163; Oppenheim 1, 8$ 218 sq. 
1) Das schwarze Meer, das Marmarameer, die Ostsee, das Beringmeer, das karische 
Meer u. s. w. Streitig ist, ob das Asow’sche Meer (so wie der Riga’sche Meerbusen und der 
Zuidersee) geschlossene Binnenseen oder Teile des offenen Meeres seien. Vgl. Stoerk HH 
11 S.510 ff. und 513 gegen die von F.v.Martens I 8.376 ausgesprochene Ansicht, daß das 
Asow’sche Meer „cher schon ein geschlossenes, denn ein offenes Meer“ ist. Stoerk meint, 
daß die mittelbare Verbindung mit dem Ozean für das Rechtsprinzip der Verkehrsfreiheit des 
Weltmeeres gleichgültig ist. Ebenso wie Martens, Rivier, Principes I 237; v. Liszt $ 26; 
neuestens Oppenheim 1 252, da dieses Wassergebiet eher als ein Golf des schwarzen Meeres 
anzuschen sei. 2) I. 9. Dig. de lege Rhodia (14,2).
	        
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