328 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. g 102.
Vermöge der Fortdauer des rechtlichen Verhältnisses der Schiffe auf
offener See zu ihrem Heimatsstaate 1) kommt diesem das ausschließliche Imperium
über jene zu und sind insbesondere alle zivil- und strafrechtlichen Vorgänge
an Bord der Schiffe, ohne Unterschied der Nationalität der beteiligten Per-
sonen, der Jurisdiktion des Staates unterworfen, unter dessen Flagge das Schiff
fährt; der Annahme einer vorübergehenden staatlichen Okkupation des Ortes
in der See, wo sich das Schiff augenblicklich befindet, bedarf es zur rechtlichen
Begründung jener Rechtsverhältnisse nicht?. Während Kriegsschiffe und
andere Öffentliche Schiffe auf hoher See und in fremden Territorialgewässern
in jeder Beziehung als schwimmende Teile des betreffenden Staates behandelt
werden, ist dies bezüglich der Privatschiffe nur in der Richtung ihrer Sub-
jektion unter die jurisdiktionelle und administrative Autorität ihres Staates
der Fall. In Friedenszeiten können nämlich gegenüber Privatschiffen aller
Nationen auf Grund der im folgenden Paragraphen erörterten Rechtstitel von
Kriegsschiffen betreffende Rechte ausgeübt werden (s. oben sub ]); in Kriegs-
zeiten sind den Belligerenten auch gegenüber neutralen Privatschiffen völker-
rechtlich bestimmte Rechte eingeräumt 3). Der Schutz der Privatschiffe obliegt
den offiziellen Schiffen (Kreuzern) des Flaggenstaats. In Fällen von Seenot
ist es ein Gebot der Humanität, auch Privatschiffen fremder Nationalität bei-
zustehen.
III. Die anerkannte Freiheit des offenen Meeres schließt die Möglichkeit
eines Titels der Berechtigung einzelner Staaten zur Erhebung von Gebühren
Steuern und Zöllen von der fremden Schiffahrt aus. Vor der allgemeinen An-
erkennung der Meeresfreiheit hatten sich in einzelnen Gewässern, die den
Verkehr zwischen Teilen des offenen Meeres vermitteln, Beschränkungen ‘)
gebildet, die mit zunehmendem Verkehr ebenso schwer empfunden wurden,
als man ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der Meeresfreiheit erkannte.
Die vordem (vielfach seit unvordenklicher Zeit) geübten, auf der Autorität
des Uferstaates über das betreffende Gewässer beruhenden Ansprüche mußten
den Konsequenzen der Meeresfreiheit weichen. Nach heutiger Anschauung
bildet der Aufwand des Uferstaates für Einrichtungen zur Sicherheit des See-
1) Demzufolge fingiert man, daß Schiffe auf hoher See Teile ihres Heimatstaates seien;
dies gilt insbesondere von Kriegsschiffen (auch in fremden Gewässern), da sie einen Teil der
bewaffneten Macht ihres Staates bilden. Vgl. Perels, Das internationale Seerecht 8. 39 ff.
2) Vgl.Stoork, HH II 494; Rivier, Lehrb. S. 159. Gegen die Annahme einer vor-
übergehenden Gcbietshoheit über Teile des offenen Meeres vgl. Perels, D. intern. Seerecht
39ff. Eine solche Herrschaft postulieren nach dem Vorgange des Grotius, De jure b. Il.
cap. III, einige ältere Schriftsteller und neuestens Harburger, Inland S. 110.
8) Vgl. Oppenheim I $ 284.
4) Eine solche Beschränkung bildete insbesondere der Sundzoll, den Dänemark bis
zum Zustandekommen des Vertrages vem 14. März bezw. des Vertrages vom 11. April 1857
erhob. Dänemark verzichtete auf die Erhebung yon Abgaben, verpflichtete sich aber zugleich
zu allen jenen Maßregeln in seinem Küstengebiete, die für die Sicherheit der Schiffahrt er-
forderlich sind; die Leistung einer Entschädigungssumme seitens der anderen Kontrahenten
wird bezüglich ihrer juristischen Natur verschieden aufgefaßt. Vgl. Perels, D. intern. See-
recht S1ff., Stoerk, HH II 496, 497, Heilborn, System 49Yff.