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$ 108. Die Staatsangehörigkeit'., Nach dem bisher Gesagten ist die
Staatsangehörigkeit Voraussetzung der rechtlichen Geltung des
Individuums im internationalen Verkehr. Die Normen über Erwerb
und Verlust der Staatsangehörigkeit gehören dem Staatsrecht der Einzel-
staaten an. Der nationale Standpunkt der Ordnung dieser Materie muß
notwendig zu Verschiedenheiten und Gegensätzen der Gesetzgebungen der
Einzelstaaten führen, die umso tiefer sind, als oft prinzipiell verschiedene
Ausgangspunkte der Regelung dieser Materie bedeutsam in die Wagschale
fallen. Der Eintritt der Individuen in den internationalen Verkehr
schafft auf verschiedenen Gebieten des Rechtslebens Tatbestände, deren
rechtliche Regelung von der Beantwortung der Vorfrage über die
Staatsangehörigkeit des beteiligten Individuums abhängig ist. Von der
Beantwortung dieser Frage hängt das Maß der Rechte und Pflichten des
Individuums gegenüber dem Aufenthaltsstaate ab, sie ist aber auch von Be-
deutung auf dem Gebiete des internationalen Privat- und Strafrechts. Die
Schwierigkeiten, die sich bei der herrschenden Verschiedenheit der nationalen
Regelung der Staatsangehörigkeit ergeben, steigern sich natürlich in dem
Maße, als der Verkehr zugenommen hat; sie gefährden die Interessen der be-
teiligten Privatpersonen und führen zu Konflikten zwischen den beteiligten
Staaten. Die Bedürfnisse des modernen Verkehrs weisen auf die Notwendig-
keit hin, bei der Regelung dieser Materie die internationale Seite derselben
zu würdigen oder durch konventionelle Regelung Konflikten vorzubeugen. So
drängen insbesondere zwei Erscheinungen des internationalen Rechtsleben,
nämlich die Tatsache mehrtacher Staatsangehörigkeit und die Heimatlosigkeit
zu einer Reform des Gegenstandes.
$ 109. Staatsangehörige, Schutzgenossen und de facto-Untertanen.
Den staatlichen und völkerrechtlichen Schutz genießen in erster Reihe die
Staatsgenossen, d.s. jene Personen, die durch das publizistische Band der
Staatsangehörigkeit in engster Beziehung zu einem Staate stehen. Sie bilden
die persönliche Grundlage des Staates und sind in ihrer Gesamtheit das
Staatsvolk. Diese engste juristische Beziehung zum Heimatsstaate bleibt
1) v. Bar, Tbeorie und Praxis. $$ 48ff., Dessen Lehrb. 34 ff.;, Rivier, Principes I
303; F. v. Martens Il 168; Stoerk, HH IL 585: Gareis $ 54; v. Liszt, $ 11; Der-
selbe, Annuaire X 25; Derselbe RG II 273; Rehm, Annalen d. D.R. (1892); Falke,
Über gleichzeitige Staatsangehörigkeit in mehreren d. Bundesstaaten (1850); v. Martitz, A.d.
D. Reichs 1875, 798, 1113; Jellinek, System der subjektiven ö. R. 111, 182; Heilborn,
System 90; v. Bodmann, Die Rechtsverhältnisse der sog. „sujets mixtes® A. f. ö. R. XII
(1896) 200, 317; Cogordan, La nationalitE au point de vue des rapports internationaux
(2. Aufl. 1896); Weiss, Trait& th&orique I (De la nationalit&); Derselbe, Manuel 243; Dessen
Bericht im Annuaire XIII p. 162 sq.; Pradier-FodEre&, Traite III 8$ 1645; Fiore I,p. 644 sq,;
Bernois, La nationalite & l’institut de droit intern. in der Revuo du droit public IV (1887)
No. 4 p. 139. — Hall, Foreign powers and jurisdiction (1894). — Für das Deutsche Reich:
Laband, Staatsrecht 1125; Derselbe H S. 34 ff.; v. Seydel Bayer. Staatsr. (2. Aufl.) I 271;
Derselbe Annalen d. D. Reichs 1876, 134; Zorn, Staatsrecht I 342; Hänel, Staatsrecht
I 355; Cahn, Das Reichsgesetz über den Erwerb und .Verlust der Staatsangehörigkeit (1859);
Hauschild, Staatsangehörigkeit i. d. Kolonien (1906); Isay, Staatsangh. d. jurist. Personen
(1907); Sieber, Das Staatsbürgerr. im intern. Verkehr, 2 Bde. (1907).