356 Sechstes Buch. Rechtliche Stellung der Individuen. $ 11.
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Amtsernennung. Jedenfalls hängt die volle Wirksamkeit der Naturalisation
in internationaler Beziehung von der Verlegung des Wolınsitzes in das
Gebiet des naturalisierenden Staates ab. e) Vielfach wird die Fırfüllung be-
sonderer Förmlichkeiten erfordert, so die Ablegung des Untertaneneides
(Österreich, in Frankreich des serment civique), die Akzeptation der Natura-
lisationsurkunde (Deutschland), die Abschwörung des Treuverhältnisses gegen-
über dem Heimatsstaat (Vereinigte Staaten). b) Die Form der Verleihung ist
die Ausstellung einer Urkunde seitens des zur Verleihung gesetzlich be-
rufenen Organs (s. 0. S. 352). Die Staatsangehörigkeit und die mit ihr ver-
bundenen Rechte und Pflichten werden regelmäßig mit dem Zeitpunkte der
Aushändigung der Verleihungsurkunde erworben. c) Die Verleihung durch
Urkunde ist ein Formalakt, daher auch dann wirksam, wenn sie nach dem
Gesetze nicht hätte geschehen sollen. d) Es gilt heute allgemein die Regel,
daß sich die Naturalisation des Ehemanns auch auf die Ehefrau und die im
Zeitpunkte des Erwerbs der Staatsangehörigkeit in der väterlichen Gewalt
stehenden minderjährigen Kinder erstreckt. Es entspricht dies der rechtlichen
Einheit und dem ethischen Charakter der Familie, wie auch der Bedeutung
der Familie für das Volksleben und die Interessen des Staats. Das Prinzip
kommt entweder in vollem Umfang zur Anwendung,t!) indem sich die Ver-
leihung ipso jure auf die betreffenden Personen erstreckt oder mit Modifikationen
in der Art, daß der in’ dem Gewaltverhältnisse stehenden Person ein Recht
zur Naturalisation eingeräumt ist, so in Frankreich bezüglich der Ehefrau des
sich in Frankreich naturalisierenden Ausländers. Eine Modifikation des Grund-
satzes besteht insofern, als das Kind nach erreichter Volljährigkeit binnen
Jahresfrist die Staatsangehörigkeit ablehnen kann, oder der Kollektivakt der
Naturalisation bezw. Expatriation an die Bedingung geknüpft ist, daß die Ehe-
frau und die Kinder dem Vater nach dem neuen Wohnsitz folgen. In diesen
Einrichtungen kommt ein mittleres System zwischen jenem, welches an den
Konsequenzen der absoluten Einheit der Familie festhält und jenem der schlecht-
hin individuellen Naturalisation zur Anwendung.?) Letzteres Prinzip liegt der
französischen Gesetzgebung zu Grunde, nach welcher Naturalisation und Ex-
patriation höchst persönliche Handlungen sind, welche weder von einem Min-
derjährigen, noch für denselben vorgenommen werden können. Indessen ist in
Frankreich durch die neueste Fassung des Art. 8 Code civil aus populations-
politischen Motiven eine Modifikation des Grundsatzes eingeführt worden, in-
dem derzeit minderjährige Kinder eines in Frankreich naturalisierten Aus-
1) Ungarn, Bulgarien, Columbien und Venezuela kennen keine Ausnahme von dem
Prinzip. — Das deutsche Recht schließt der Regel nach nur die gewaltunterworfenen voll-
jährigen und die emanzipierten minderjährigen Kinder aus. Dagegen kann die Verleihung
auch auf die volljährigen Kinder ausgedehnt werden; diese Verleihung ist aber keine ipso
jure eintretende Ausdehnung der dem Vater verliehenen Staatsangehörigkeit. Dagegen kanu
der Ehefrau und den minderjährigen Kindern die bisherige Staatsangehörigkeit vorbehalten
werden; es entscheidet das Ermessen der verleihenden Behörde. v. Seydel, Bayerisches
Staatsrecht I S. 276.
2) Das Prinzip der individuellen Naturalisation kam in Art. 4 des Entwurfs des In-
stituts für internationales Recht zum Ausdruck.