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I,ande sich aufhalten. Im ganzen wird immer daran festzuhalten sein, daß es sich
nicht um den Vollzug einer Strafe, sondern um eine administrative Maßregel
handelt. Zwangsmaßregeln (eventuell Bestrafung) sind nur in Fällen des Unge-
horsams gegen den Ausweisungsbefehl oder der unbefugten Rückkehr zulässig.
Von der Ausweisung, die in formeller Beziehung stets einen Ausweisungs-
befehl voraussetzt, ist die materiell allerdings nicht besonders qualifizierte
zwangsweise Abschiebung (droit de renvoi, reconduction) gänzlich mittel-
loser, vagabundierender, ausweisloser und sonstwie verdächtiger Individuen zu
unterscheiden. Diese Maßregel wird allemal anwendbar sein, wenn die betreffende
Person nicht schon beim Betreten des Gebiets an der Grenze zurückgewiesen
worden ist.
V, In Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträgen sichern sich die
Kontrahenten bezüglich ihrer Angehörigen die Beobachtung von Regeln, die
in der Hauptsache den Maximen entsprechen, welche die zivilisierten Staaten
heute gegenüber Fremden anerkennen. Es muß aber nochmals betont werden,
daß, abgesehen von dieser Art von Garantien korrekten Vorgehens in Aus-
weisungsfällen, für die Staaten der internationalen Gemeinschaft schon in der
Anerkennung der von der Nationalität unabhängigen Rechtssubjektivität der
Individuen ein Verpflichtungsgrund für rechtmäßiges Verhalten und Beachtung
von Rücksichten der Billigkeit liegt. Eine Beschwerde des Heimatsstaats des
Ausgewiesenen aus Anlaß der Nichtbeachtung dieser Grundlage
des Völkerverkehrs und seiner rechtlichen Ordnung wäre daher
immerhin begründet und könnte nicht als ein unzulässiger Eingriff in das
Selbstbestimmungsrecht des Aufenthaltsstaats aufgefaßt werden.
$ 116. Asylrecht und Auslieferung. Der Staat ist kraft seiner
Souveränetät bezüglich der Zulassung von Fremden unbeschränkt; der Unter-
schied, ob betreffende Personen unbescholten sind oder wegen strafbarer Hand-
lungen verfolgt werden, hat keine Bedeutung. Der Staat kann auch diesen
letzteren (ohne Unterschied der rechtlichen Beschaffenheit des Verbrechens) den
Eintritt in sein Gebiet und den Aufenthalt gestatten. Der Übertritt des Ver-
folgten auf fremdes Staatsgebiet schützt ihn vorläufig bezw. dauernd vor Ver-
folgung. Man bezeichnet das Verhältnis des Verfolgten zu dem Aufenthalts-
staat als völkerrechtliches Asyl. Dieses Verhältnis ist eine einfache
Konsequenz der Geschlossenheit des territorialen Souveränetätsrechts. Da
der Fremde einen rechtlichen Anspruch auf Zulassung und Duldung des
Aufenthalts nicht hat, so kann der aus irgend welchem Motiv Flüchtige einen
Anspruch auf Gewährung des Asyls nicht erheben. Anderseits besteht keine
Asylpflicht; der Staat kann das Asyl verweigern bezw. den Flüchtigen aus-
weisen; gewährt er das Asyl, so ist er jedenfalls berechtigt, den Mißbrauch des
gewährten Schutzes zu Angriffen gegen andere Staaten durch polizeiliche Über-
wachung usw. zu verhüten. Beschränkungen des freien Ermessens des Staats
gegenüber Flüchtigen können durch Statuierung der Auslieferungspflicht
im Landesrecht oder in Verträgen (Auslieferungsverträgen) begründet sein.
Ullmann. Völkerrecht. 24