400 Siebentes Buch. Gemeinsame Wirksamkeit der Staaten ctc. g 122.
wirkung der Gerichte Während England und Nordamerika die betreffende
Verfügung ihren Gerichten vorbehalten, genügt es in den übrigen Staaten,
wenn seitens der Gerichte des ersuchenden Staats ein Verhaftsbefehl ergangen
ist. Das Maß der Mitwirkung der Gerichte bei der Entscheidung über Jie
Zulässigkeit der Auslieferung ist in England und Nordamerika einerseits und
den Staaten des europäischen Kontinents anderseits verschieden normiert; dort
eine weitgehende Kompetenz der Gerichte, hier eine (z. B. auf Gutachten)
beschränkte Kompetenz. Erfordert die Ausführung der Auslieferung den
Transport der Person durch das Gebiet eines dritten Staates, so ist die
Genehmigung des letzteren, eventuell dessen Hilfeleistung erforderlich. Die
Verträge enthalten darüber nähere Bestimmugen.
$ 131. Rechtliche Wirkung der Auslieferung. ') Mit der rechtlichen
Natur jedes konkreten Auslieferungsaktes ist die Forderung gegeben, daß der
Staat, an welchen die Auslieferung erfolgte, ohne Zustimmung des ersuchenden
Staats oder der ausgelieferten Person, diese nicht an einen dritten Staat wegen
eines dort begangenen Delikts ausliefern kann; ferner kann die ausgelieferte
Person nur wegen jenes Delikts verurteilt werden, wegen dessen die Auslieferung
erfolgt ist. Man bezeichnet diese Forderungen als den Grundsatz der Spezialität
der Auslieferung. Daraus ergibt sich vor allem, daß die Verurteilung bezw.
Bestrafung nur wegen derjenigen Tat erfolgen kann, wegen welcher die Aus-
lieferung gewährt worden ist; sodann aber auch, daß die bei der Bewilligung
maßgebende Qualifikation nicht verändert werde.2} Dies der Standpunkt der
Verträge seit den fünfziger Jahren. Bei vorhandener Identität der Tat darf
natürlich durch anderweite Qualifikationen eine Verurteilung wegen eines
politischen Delikts oder eines der Auslieferung überhaupt entzogenen Delikts
nicht erfolgen. Hievon abgesehen wird das ersuchende Gericht eine ander-
weite Qualifikation der Verurteilung zu Grunde legen können. Fehlen der-
artige Stipulationen in einem Auslieferungsvertrage, so ist der ersuchende Staat
nur berechtigt, die Tat unter einen der im Vertrage aufgezählten Tatbestände
zu subsumieren.
Beim Hervortreten einer Tat, wegen welcher die Verfolgung des Aus-
gelieferten ausgeschlossen ist, hat der ersuchende Staat das Recht, den Aus-
gelieferten (auch wenn er Inländer ist) auszuweisen. Auf solche Fälle bezieht
sich die Bestimmung der Verträge, daß (wenn keine unmittelbare Ausweisung
stattfindet) die Verfolgung eintreten kann, wenn das betreffende Individuum nicht
binnen einer bestimmten Frist das Land verläßt oder wieder dahin zurückkehrt.’:
$ 132. III. Die Wohlfahrtspflege. 1. Die religiösen Interessen. ')
I. Mit der Verbreitung des Christentums und der Ausbildung der christlichen
1) Lammasch, Auslieferungspflicht S. 738 ff, AH 111 S. 555ff.; v. Bar, Lehrl.
S. 323 ff.; Müller, Der Ausgelieferte vor Gericht (1857).
2) Mit Bezug auf Scet. 3 No. 2 der Extradition Act 1870 schließt England nur Aus-
lieferungsverträge ab, in denen die vollen Konsequenzen der Spezialität der Auslieferung an-
erkannt werden. 3) Siehe darüber v. Bar, Lehrb. 8. 325 ff.
4), F. v. Martens II S. 105 ff.; Heffter-Geffeken $$ 40 ff.;, Rivier, Prineipee I
p. 317 2q.