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im völkerrechtlichen Sinne — in Gegensatz treten. Allerdings bewegt sich
die freie Selbstbestimmung !) des Staats auf dem Gebiete des Handelsverkehrs
heute innerhalb gewisser Grenzen, welche durch die Konsequenzen der Tat-
sache des internationalen Verkehrs und der Existenz einer Gemeinschaft der
Staaten dem einzelnen Gliede der Gemeinschaft gezogen sind. Um deswillen
ist es heute unmöglich, daß ein Staat den Handelsverkehr gegenüber einem
anderen Staate unterdrücken oder einen Staat von dem Handel mit einem
dritten Staate ausschließen könnte. Auch dürfte die Einführung von Schutz-
zöllen nicht zu einer Prohibition der Einfuhr bezüglich aller Gegenstände
führen. Es ist ferner heute unmöglich, Handelsgebiete und Handelswege zu
monopolisieren. Dagegen ist der Selbstbestimmung des Staats keine Grenze
gezogen, wenn er einen bestimmten Handel aus Gründen der Förderung des
Volkswohls (z. B. den Opium- oder Alkoholhandel) oder aus rechtlich-sittlichen
Gründen (z. B. den Sklavenhandel) und anderen Gründen verbietet; ferner kann
der Staat den Handelsverkehr mit einzelnen Staaten an günstigere Bedingungen
knüpfen, als den mit anderen; anderen Staaten den Handelsverkehr mit einem
bestimmten Gebiete (z. B. mit seinen Kolonien) untersagen, auch Waren, welche
auf fremden Schiffen eingeführt werden, anders behandeln, als die auf eigenen
Schiffen eingeführten.
U. Die Erkenntnis der Bedeutung des internationalen Handelsverkehrs
für das ökonomische Gemeinwohl mußte frühzeitig das Bedürfnis rechtlicher
Ordnung und des Schutzes der vielfach kollidierenden Interessen der Handel
treibenden Völker nahelegen. Das Bedürfnis wird durch die Abschließung von
Verträgen (Handelsverträgen, Schiffahrtsverträgen) befriedigt. Die praktischen
Zwecke dieser Verträge waren in verschiedenen Zeiten verschieden; in der
älteren Zeit dienen sie zumeist in erster Linie der Eröffnung des Handels-
verkehrs, in neuerer Zeit hängen sie auf das engste zusammen mit der
herrschenden Handelspolitik (Merkantilsystem, Kolonialsystem, Freihandels-
system usw.). Während nun die aus solchen Verträgen für die Kontrahenten
entspringenden Verbindlichkeiten auf der autonomen Selbstbestimmung der
beteiligten Staaten beruhen, kennt das neueste Recht Beschränkungen der
Autonomie in handelspolitischen Angelegenheiten durch Kollektivakte der
Mächte; so wurde in der Berliner Konferenzakte vom Jahre 1885 für den
durch diese Akte geschaffenen Kongostaat das Prinzip des Freihandels als
maßgebendes handelspolitisches Prinzip deklariert.2) Durch Kollektivakte wurde
in neuester Zeit den kontrahierenden Mächten auch der Betrieb eines bestimmten
Handels verboten — nämlich des Sklavenhandels. 3)
III. Die Handelsverträge lassen sich zunächst in zwei große Gruppen
sondern: solche, durch die der Handelsverkehr mit einem Lande erst eröffnet
I) Sie bildet als Konsequenz der Souveränetät die juristinche Regel, die aber durch
die Macht der Tatsachen des Verkehrs praktisch modifiziert ist.
2) Art. 1: Le commerce de toutes les nations jouira d’une compl£te libert6 dans tous les
territoires constituant le bassin du Congo et ses affluents etc. — Dagegen gewährte die
Brüsseler Antisklavereiakte dem Kongostaat das Recht zur Erhebung von Einfuhrzöllen (zur
Hebung der Finanzlage des Staates). 3) Brüsseler Konferenzakte 1890.