Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

36 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. 87. 
  
  
gewalt, die Errichtung eines Staatsvertrags von den nach dem betreffenden 
Staatsrecht für das Zustandekommen eines solchen Vertrags maßgebenden 
staatsrechtlichen Akten, die rechtliche Existenz bezw. Wirksamkeit solcher 
Verträge von der Zustimmung einer Volksvertretung u. s. w. abhängig.'!) 
Im ganzen und großen ist schließlich bezüglich des hier in Frage stehen- 
den Verhältnisses zu beachten, daß die Staaten und das staatliche Recht die 
primären Erscheinungen der Rechtsbildung sind und ein gewisses Maß der 
Ausbildung des internen Rechts erreicht sein mußte, bevor die Idee eines 
die Staaten umfassenden Rechts entstehen konnte, deren Realisierung die 
eigenste Tat der Einzelstaaten ist. Jeder rechtlich bedeutsame Schritt auf 
dem Wege der positiven Entwicklung des Völkerrechts ist zugleich ein staats- 
rechtlich bedeutsamer Willensakt der beteiligten Staaten. 
II. Völkerrecht und Völkermoral.2) So lange rechtliche Normen 
fehlen, ist das gegenseitige Verhalten der Völker ausschließlich von den der 
jeweiligen Kulturstufe entsprechenden sittlichen Anschauungen bestimmt; diese 
selbst sind hinwieder durchaus von den herrschenden religiösen Anschauungen 
beherrscht: das sittliche Gebot gilt, weil es religiöses Gebot ist. Die Ver- 
schiedenheit der alten Volksreligionen mußte notwendig eine Verschiedenheit 
der sittlichen Anschauungen hervorbringen. Im Hinblick auf die Bedeutung 
sittlicher Anschauungen für die Rechtsbildung bildete der Mangel gleichartiger 
sittlicher Maximen in Verbindung mit der Betonung der nationalen Eigenart 
auf allen Gebieten menschlicher Betätigung bei den Völkern des Altertums 
das entscheidende Hindernis allgemeiner Anerkennung von Normen für den 
Völkerverkehr: eine Berufung auf allgemein anerkannte Grundsätze der Moral 
gegenüber dem Verhalten dritter Staaten war nur in beschränktem Maße 
möglich, die vorwiegend maßgebenden nationalen Gegensätze bedeuteten gleich- 
zeitig einen tiefgreifenden sittlichen Gegensatz. Die Uberwindung dieses 
Gegensatzes bei den christlichen Völkern bedeutete daher gleichzeitig eine 
sittliche Assimilierung national verschiedener Völker und Völkergruppen und 
damit die Schaffung gleichartiger rechtlicher Anschauungen, welche für die 
weitere Entwicklung die Grundlage rechtlicher Ordnung der Völkerbeziehungen 
abgeben konnten. 
In dem eben Gesagten wurden die Beziehungen der sittlichen Anschau- 
ungen der Völker zur Frage der Möglichkeit eines rechtlich geregelten Völker- 
verkehrs und sohin des Völkerrechts in’s Auge gefaßt. Die Frage spielt 
augenscheinlich in der Geschichte der Entstehung des Völkerrechts eine Rolle. 
Das Verhältnis der Moral zum Völkerrecht ist aber noch von einem anderen 
(sesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Es kann nämlich auf dem Boden des 
geltenden Völkerrechts die Frage aufgeworfen werden, welche Bedeutung der 
1) Vgl. schon hier mit Rücksicht auf Staatsverträge Ernst Meier, Über den 
Abschluß von Staatsverträgen 8. 217, 218 (mit Rücksicht auf Art. 48 der Preußischen Ver- 
fassung). 
2) Vgl. das oben S. 22, 32 über die allgemeinen Beziehungen der Moral zu Sitte und 
Recht Gresagte.
	        
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