Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

434 Achtes Buch. Die intern. Streitigkeiten u. deren Erledigung etc. $ 150. 
  
keit der internationalen Gemeinschaftsordnung. Anders dagegen, wenn wir die autonome 
Entschließung eines Staates für Nichtanwendung der Selbsthilfe in ihrem notwendigen Zu- 
sammenhang mit der Stellung des Staates in der internationalen Gomeinschaftsordnung ins 
Auge fassen. Dann erscheint jene Entschließung nicht mehr bloß als autonome Verwertung 
eines dem Völkerrecht eigentümlichen Rechtsmittels; die Eigentümlichkeit dieses Rechtsmittels 
und des sich daran anknüpfenden Verfahrens kommt dann vielmehr in der Mitwirkung 
dritter Staaten als der gleichberechtigten Träger des solidarischen Interesses an der fried- 
lichen Austragung eines Streitfalles zum Ausdruck. Wenn die friedliche Erledigung eines 
Streitfalles, insbesondere auf dem Wege des Schiedsspruchs, nicht eine bloß zufällige Ab- 
weichung von den Konsequenzen der Souveränctät und sohin der Anwendung der Selbst- 
hilfe sein soll, so muß sie ihren Zusammenhang mit einem Normenkomplex aufweisen, welcher 
die Pflicht zur Ablehnung der Selbsthilfe mindestens als moralische Pflicht anerkennt, wo- 
bei aber sofort auch die Eigenart dieses Normenkomplexes als einer autonomen Ordnung 
des Verfahrens uns gegenübertritt.e Die auf diesem spezifisch internationalrechtlichen 
Wege geschaffene Einlassungspflicht ist nun wesentlich verschieden von dem die natio- 
nale Justizpflege beherrschenden Einlassungszwang; hier steht der Einlassungszwang in 
engstem Zusammenbang mit dem absoluten Verbot der Selbsthilfe kraft der den Streit- 
teilen übergeordneten staatlichen Normen; in dieser unbedingten Subjektion liegt die 
Möglichkeit und das durchgreifende rechtliche Mittel, die Anwendung von Selbsthilfe aus- 
zuschließen. Auf dem Gebiete des Internationalen ist aber eine derartige Subjektion prin- 
zipiell ausgeschlossen; daher kann auch von einer ludikatur ordentlicher Gerichte hier nicht 
die Rede sein, denn diese hängt auf das engste mit der Organisation einer übergeordneten 
Justizgewalt zusammen. Wenn also die Anwendung von Selbsthilfe in Völkerstreitigkeiten 
ausgeschlossen werden und eine Einlassungspflicht hier zur Geltung kommen soll, so kann 
dies nur auf autonomem Wege geschehen. Da in früherer Zeit das subjektive Moment der 
Souveränetät das internationale Leben vorwiegend beherrschte, so ist begreiflich, daß für den 
Ausschluß der Selbsthilfe und die Anwendung friedlicher Mittel, insbesondere für die Wahl 
schiedsrichterlicher Entscheidung, nur der autonome Wille und die Initiative der Streit- 
teile entscheidend waren; die friedliche Erledigung der Sache war nicht die notwendige 
Konsequenz der Funktionierung anerkannter Rechtssätze über friedliche Streiterledigung. 
Jener autonome Weg war nichts anderes als die individuelleautonome Entschließung 
ale solche. Dies ist übrigens auch heute noch das Charakteristische der sog. besonderen 
(speziellen) Schiedsverträge und wird daher auch in Zukunft in Fällen solcher Verträge zu- 
treffen. Die neuere Praxis des Schiedswesens und insbesondere die Ordnung, welche dieses 
Verfahren durch die Haager Konferenzen gefunden hat, stellen den Ausschinß der Selbsthilfe 
und die Einlassungspflicht zwar nicht unter einen anderen Gesichtspunkt; die Autonomie 
der Streitteile ist auch hier der durchgreifende Gedanke, allein die Einlassungspflicht beruht 
hier auf einer der Entstehung des konkreten Streitfalles voraufgehenden Betätigung des auto- 
nomen Willens in der Richtung, Streitfälle bestimmter Art oder alle Streitfälle, unbedingt 
oder unter gewissen Vorbehalten, der Schiedssprechung zu unterziehen. Die Einlassungs- 
pflicht ist in allen diesen Fällen entweder durch einen Einzelvertrag oder durch einen Kol- 
lektivvertrag u. z. entweder überhaupt, oder für eine bestimmte Zahl von Jahren in vorhinein 
normiert.‘) Der Fortschritt in der Entwicklung des rechtlichen Verfahrens im Völkerrecht 
liegt hiernach wesentlich darin, daß die Staaten auf dem Wege kollektiver Ausgestal- 
tung der völkerrechtlichen Normen (also auf dem der Eigenart des Völkerrechts 
eıgentümlichen Wege) die Anerkennung der allgemeinen Pflicht zur Anwendung der fried- 
  
1) Verträge dieser Art sind in neuerer Zeit schon vor der Haager Konferenz 1899 ab- 
geschlossen worden; seither hat sich die internationale Praxis in überraschender Weise unter 
den Einfluß der Ideen gestellt, von denen diese eigenartige Betätiguug der Staatenautonnmie 
beherrscht ist. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das objektive Prinzip des Völkerrechts 
(s. oben S. 4, 5, 8), das in der allseitigen Anerkennung der Existenz der internationalen Ge- 
meinschaft und der Solidarität der Interessen ihrer Mitglieder wurzelt, sich praktische Geltung 
auch auf dem Gebiete des rechtlichen Verfahrens verschafft hat.
	        
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