442 Achtes Buch. Die intern. Streitigkeiten u. deren Erledigung etc. 8 154.
Kollektivakt der Mächte vollzog sich in dem Haager Friedensabkommen vom
29. Juli 1899. In diesem Kollektivakt ist positivrechtlich normiert worden,
was konform richtigen juristischen Anschauungen, dem Wesen der Sache und
einer unabweislichen Beschränkung auf das derzeit Erreichbare in dieser:
Kardinalfrage des Völkerrechts als Friedensordnung der zivilisierten Völker
von den Mächten angestrebt werden konnte. Der durch das FA geschaffene
Rechtszustand bildet den vorläufigen Abschluß dieser Materie. In der Praxis
haben sich Lücken in den Bestimmungen des FA gezeigt, so vor allem be-
züglich der Vorschriften über das Verfahren, auf deren Beseitigung die
Aufmerksamkeit in den letzten Sessionen des Instituts für internationales Recht
(in Edinburg und Gent) gelenkt wurde.
Jene Lücken wurden durch die Beschlüsse der HK 1907 inzwischen
ausgefüllt; ferner wurden anderweite Verbesserungen (so namentlich bezüglich
des früheren Art. 24 jetzt 45 FA betr. die Zusammensetzung des Schieds-
gerichts) vorgenommen, Bestimmungen (Art. 53, 54) über das Zustandekommen
des im Einzelfalle abzuschließenden Schiedsvertrags und ein summarisches
Schiedsverfahren neu eingeführt.
II. Für die Normierung des Schiedswesens sind vor allem die Grenzen
der Anwendbarkeit des Schiedsverfahrens von Wichtigkeit. Die herrschende
Meinung beschränkt die Schiedssprechung auf rechtliche Streitfälle;
politische Streitigkeiten wären daher von vornherein auszuscheiden'). Richtiger
dürfte es sein, zu sagen, daß politische Konflikte in der Regel der Schieds-
sprechung entzogen sind (s. oben S. 432). Tatsächlich findet die Schieds-
sprechung Anwendung auf Konflikte, die als „Rechtsstreitigkeiten“ eine Ent-
scheidung nach Rechtssätzen zulassen; zumeist sind dies Streitigkeiten, die auf
widersprechender Auslegung von Verträgen, auf Verletzungen von vermögens-
rechtlichen Interessen, auf Ersatzansprüchen und Verletzungen der Neutralität,
Grenzverletzungeu, Verletzungen der Gebietshoheit u. dgl. beruhen. Dagegen
ist es nicht zutreffend, die Schiedsgerichtsbarkeit auf geringfügige Streit-
sachen beschränken zu wollen, da tatsächlich Streitfälle von größter Bedeutung
schiedsrichterliche Erledigung gefunden haben 2). Die herrschende Anschauung,
daß das Schiedswesen sich vorzugsweise für die Erledigung von Rechtsstreitig-
keiten eignet, liegt auch dem hier maßgebenden Art. 38 F A zugrunde, ohne
daß jedoch dessen Wortlaut im Sinne einer absoluten Schranke der grundsätz-
lichen Anwendbarkeit des Schiedswesens interpretiert werden müßte. Dagegen
scheidung von Völkerstreitigkeiten in der Öffentlichen Meinung, in den Beschlüssen der Parla-
mente, in den Resolutionen von Korporationen, in der Praxis der Staaten u. s. w. in dem
Zeitraum von 1872 bis 1892 bietet Rouard de Card in der oben zit. Schrift Les destinees
etc. (1872). Auch das Institut für internationales Recht hat sich mit der Frage beschäftigt.
Vgl. Annuaire ], 126 sq.; R VI, 42!sq. Neuestens die erste Sammlung von de Lapradelle
et Politis.
1) Für die Ausdehnung des Gebiets der Schiedssprechung Nys, R XVII; M£@ringhac
RG 1903, p. 803; Kolben, Wahrheit und Klarheit über die, |Haager Friedenskonf. (1900).
Ebenso Nippold, Die Fortbildung u. s. w. 16$ ff. Vgl. auch meine Abh. im Jahrb. d. öff.
R 1, 94 ff. 2) Richtig Nippold, Die Fortbildung u. s. w. 142 ff.