470 Achtes Buch. Die intern. Streitigkeiten u. deren Erledigung etc. $ 170.
haltung der zwischen den Kriegsparteien geschlossenen Verträge, das Verbot
des Gebrauchs vergifteter Waffen, der Tötung sich ergebender oder schwer-
verwundeter feindlicher Krieger, der Verletzung von Nichtkombattanten, der
Zerstörung von Ackern. usw. —; allein, darin bekundet sich doch nur in ein-
zelnen Richtungen die auf keiner Stufe der Entwicklung der Völker fehlende
Stimme des sittlichen Gewissens und religiöser Anschauungen. Der Gegenwart
und Zukunft bleibt die Lösung des Problems vorbehalten, die mit dem Kriege
gegebenen exzeptionellen Verhältnisse der mächtigsten Gewaltübung bezw. die
mit der Verfolgung des Kriegszwecks verknüpfte äußerste Kriegsnotwendigkeit
mit den Forderungen des Rechts und der Humanität in Einklang zu bringen.
Der Lösung dieser Aufgabe haben die voraufgehenden Jahrhunderte vorgear-
beitet. Die Praxis der Heerführer, die staatliche Gesetzgebung und Staaten-
verträge hatten zu einer Beschränkung des Gebrauchs der kriegerischen Macht-
mittel geführt, die als usus in bello — oder sog. Kriegsmanier — die
stufenweise Ausbildung von Rechtssätzen bezüglich der Kriegführung bedeutet.
Gegenüber der Anschauung, daß im Kriege jedes Mittel zur Erreichung des
Kriegszwecks erlaubt sei (jus belli est infinitum), verbietet die in der Kriegs-
manier zum Ausdruck kommende zivilisierte Völkersitte die gegenseitige An-
wendung von Gewaltmaßregeln und kriegerischen Mitteln, die eine unnötige
Grausamkeit oder Leidenszufügung bedeuten bezw. mit dem Wesen des Krieges
als eines Kampfes der Staaten im Hinblick auf einen bestimmten Kriegszweck
in Widerspruch stehen. Verletzungen dieser Forderungen der Völkersitte von
der einen Seite entbinden den andern Kriegsteil von der Verpflichtung zur
Beobachtung der Regeln der Kriegsmanier und geben ihm das Recht zur An-
wendung von Repressalien. Außerdem kann eine Abweichung von den Regeln
der Kriegsmanier gerechtfertigt erscheinen durch die äußerste Notlage, in
welche der Kriegführende in Folge der Wechselfälle des Krieges geraten kann
und in der ihın nur die Wahl bliebe zwischen der gewissenhaften Beobachtung
der Regeln des Rechts und dem Verzicht auf die Erreichung des Kriegszwecks
bezw. der Preisgebung seiner eigenen Existenz. 1) Die in diesen beiden Fällen
zulässige Abweichung von den Regeln der Kriegsmanier wird Kriegsraison,
ratio belli (Grotius: necessitas belli) genannt. Die Zulässigkeit solchen
Vorgehens in Notfällen wird nicht allgemein anerkannt.?2) Eine Grenze ist
allerdings schon dadurch gezogen, dab gewisse Kriegsrechtsregeln unbedingt
bindende Kraft besitzen und namentlich in der Kriegführung zivilisierter
Völker absolute Geltung beanspruchen, so z. B. das Verbot des Gebrauchs ver-
gifteter Waffen, verräterischer Tötung feindlicher Kombattanten usw.)
Die Entwicklung und Geltung von Rechtsgrundsätzen im Kriege hängt in letzter Reihe
mit den Voraussetzungen eines Rechts unter den Völkern überhaupt zusammen. Der Fort-
schritt der Neuzeit gegenüber der Vergangenheit besteht vornehmlich darin, daß nunmehr
das Walten von Recht und Humanität im Kriege nicht von der zufälligen Anerkennung ge-
wisser sittlicher und humaner Maximen bezüglich der Ausübung der Kricegsgewalt, der Be-
handlung des Feindes, des feindlichen Landes u. 8. w. abhängt, sondern daß seitens der
1) Analogie des Notstands im Strafrechte.
2) Entschieden gegen die Zulässigkeit Westlake, Chapters 238.
3) So neuestens Oppenheim II $ 69.