8 176. Erlaubte und unerlaubte Mittel der Kriegführung. 479
des Kriegszwecks. Des Näheren gestaltet sich die Gewaltanwendung als eine
Schädigung der Gesamtkraft des Gegners, daher die kriegerische Aktion gegen
alle Quellen der physischen und moralischen Stärke des Gegners gerichtet ist.
Schranken willkürlicher Gewaltanwendung ziehen außer den Regeln der Kriegs-
manier Verträge und sonstige Übereinkommen, die Gebote der Sittlichkeit
und Religion, und die militärische Ehre. Illoyales und treuloses Handeln,
verräterisches Vorgehen sind schon um ihrer Unsittlichkeit willen aus-
geschlossen. Diesen Erwägungen gibt das HKR Art. 22 formell Ausdruck,
indem erklärt wird, daß die Kriegsparteien kein unbeschränktes Recht in der
Wahl der Mittel zur Beschädigung des Feindes haben. Abgesehen von den
durch Sonderverträge aufgestellten Verboten hat das HKR in Art.23ff. die An-
wendung einer Reihe von Kriegsmitteln ausdrücklich verboten.
Das HKR verbietet im Landkrieg insbesondere a) die Verwendung von Gift oder ver-
gifteten Waffen, b) die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feind-
lichen Volkes oder Heeres, c) die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder
wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat, d) die Erklärung, daß kein
Pardon gegeben wird, e) den Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet
sind, unnötig Leiden zu verursachen, f) den Mißbrauch der Parlamentärflagge oder der mili-
tärischen Abzeichen oder der Uniform des Feindes, sowie der besonderen Abzeichen des
Genfer Abkommens, g) die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums außer in den
Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Kriegsnotwendigkeit erheischt wird,
h) die Aufhebung oder zeitweilige Außerkraftsetzung der Rechte und Forderungen von An-
gehörigen der Gegenpartei oder die Ausschließung ihrer Klagbarkeit. Es ist ferner untersagt,
Angehörige der Gegenpartei zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr Land
zu zwingen; dies gilt auch für den Fall, daß sie vor Ausbruch des Krieges angeworben waren
(Art. 22). — Es ist ferner untersagt, die Plünderung und Verheerung von Städten oder An-
siedelungen, selbst wenn sie im Sturm genommen sind (Art. 28). Der Angriff und die Be-
schießung unverteidigter Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln
08 auch sei (d. i. auch aus Luftschiffen oder auf sonstigen neuen Wegen) (Art. 25).
Weitere Beschränkungen enthalten drei Deklarationen der HK 1899, die eine Weiter-
bildung des der Petersburger Konvention vom 11. Dezember 1868 (Text bei Fleischmann,
88) zugrunde liegenden Gedankens. Die Konvention verbietet nämlich den Gebrauch von
Spreng- oder explodibeln, mit entzündlichen oder brennbaren Stoffen gefüllten Geschossen von
weniger als 400 Gramm Gewicht. In der 2. und 3. Deklaration (Text bei Fleischmann,
318) unterwarfen sich die Vertragsmächte dem Verbote, solche Geschosse zu verwenden, deren
einziger Zweck ist, ansteckende oder giftige Gase zu verbreiten, ferner Geschosse zu ver-
wenden, die sich leicht im menschlichem Körper ausdehnen oder platt drücken, derart wie die
Geschosse mit hartem Mantel, der den Kern nicht ganz umhüllt oder mit Einschnitten ver-
sehen ist (Dum-Dum-Geschosse). In der 1. Deklaration wurde das Werfen von Geschossen
und Sprengstoffen aus Luftschiffen oder auf ähnlichen neueren Wegen für die Dauer von
fünf Jahren verboten. Diese inzwischen abgelaufene Deklaration wurde auf der HK 1907
erneuert und zwar für die Zeit bis zum Schlusse der in Aussicht genommenen 3. Friedens-
konferenz.!)
II. Zu den erlaubten Mitteln gehört nach dem Gesagten auch in gewissen
Grenzen der Gebrauch der List (Art. 24 HKR). So ist es erlaubt, den Gegner
1) Über diese Deklarationen vgl. im ganzen A. Zorn, 133ff. und Meurer, HFK II,
441ff. — Der Emeuerung der 1. Deklaration hatte Deutschland unter der Bedingung zu-
gestimmt, daß die großen Militärmächte denselben Standpunkt einnehmen. Da jedoch einige
dieser Mächte die Erneuerung abgelehnt haben, wird auch Deutschland ihr nicht beitreten
können.