Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

g 191. Rechtliche Stellung der Kriegführenden und Neutralen. 519 
  
OD. Die an das Neutralitätsverhältnis geknüpften Ansprüche und 
Pflichten treten im Falle des Ausbruchs eines Krieges für die an dem Streit- 
falle nicht beteiligten Staaten unmittelbar in Wirksamkeit. Ist der nicht 
beteiligte Staat durch Vertrag zu neutralem Verhalten verpflichtet, so hat 
dieses obligatorische Verhältnis wesentlich die Bedeutung einer konkreten 
Sicherung des neutralen Verhaltens des betreffenden Staats gegenüber dem 
Kriegführenden. Den Anlaß zur Abschließung solcher Verträge bieten die 
individuellen Beziehungen der Interessen der Kontrahenten; es ist daher 
durchaus eine Frage politischer Erwägung der Beteiligten, ob die Zusage 
neutralen Verhaltens in einer konkreten Stipulation zum Ausdruck gebracht 
werden soll. Indem nun die Abschließung solcher Verträge nicht allgemein 
vorkommt und sich regelmäßig aus individuellen Gründen erklären läßt, muß 
bezüglich der Entstehung des Neutralitätsverhältnisses an obiger Regel fest- 
gehalten werden, und dürfte die Meinung!), daß die Neutralität ein „besonderes 
obligatorisches Rechtsverhältnis* ist, nicht zutreffend erscheinen; im Hinblick 
auf die Praxis der Völker müßte man nach dieser Ansicht in der über- 
wiegenden Mehrzalıl der Fälle zu einer Fiktion von Verträgen der Neutralen 
mit den Kriegsparteien Zuflucht nehmen; dazu kommt, daß nach dieser An- 
sicht die Übernahme der Verpflichtung zu neutralem Verhalten sich als ein 
Loskauf von kriegerischer Behandlung seitens der Belligerenten darstellt — 
ein Gesichtspunkt, der in der Zeit willkürlichen Vorgehens der Kriegführen- 
den gegenüber den an dem Streite nicht beteiligten Völkern für betreffende 
Verträge maßgebend sein mochte. — Der Ausbruch eines Krieges zwischen 
zwei oder mehreren Staaten läßt das normale Verhältnis der Kriegführenden 
und Neutralen zu einander in rechtlicher Beziehung und folgemäßig die Gel- 
tung der allgemeinen völkerrechtlichen Normen unberührt. Diesen Normen 
entspricht auch im Kriege vor allem der Grundsatz der Unverletzbar- 
keit des neutralen Gebiets. Das korrespondierende Recht der Neutralen 
ist nichts Singuläres gegenüber der mit der Souveränetät gegebenen Unver- 
letzbarkeit des Territoriums eines Staats in Friedenszeiten?). Soweit aber die 
Tatsache des Krieges in den Beziehungen der Kriegführenden und Neutralen 
Tatbestände hervorrufen kann, mit denen eine Kollision der beiderseitigen 
Interessen verknüpft ist, treten singuläre Normen in Wirksamkeit. So er- 
scheint z. B. die Blokade eines Hafens als ein Tatbestand, der nicht bloß 
tatsächlich den Verkehr, insbesondere den Handelsverkehr der Neutralen nach 
dem blokierten Orte erschwert oder unmöglich macht; nach den singulären 
Rechtssätzen über die Blokade und ihre Wirkungen ist vielmehr dieser Ver- 
kehr rechtlich verboten und in den Rechten der blokierenden Kriegsmacht 
gegen kontravenierende Schiffe der Neutralen eine entsprechende rechtliche 
Sanktion geschaffen. — Die Sicherung des Interesses des Neutralen, in seiner 
unparteiischen Stellung von den Kriegführenden respektiert zu werden, ist 
an Bedingungen geknüpft, die gewöhnlich als Pflichten der Neutralen bezeich- 
  
1) Heılborn, System 348, 347. Vgl. dagegen Beling, Krit. Vierteljahrschrift, III F., 
Bd. II 617, 618. 
2) Vgl. Gareis S. 214, 215; Heilborn a. a. O.; Beling a. a. O.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.