Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

b24 Achtes Buch. Die intern. Streitigkeiten u. deren Erledigung etc. & 192. 
  
nach geltendem Recht wegen derartiger Kontraventionen ihrer Angehörigen 
völkererchtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Eine solche Ver- 
antwortlichkeit für Verletzungen der Neutralität durch Angehörige eines neu- 
tralen Staates ist derzeit nur bezüglich der Akte unmittelbarer Kriegshilfe 
anerkannt (vgl. Art.8 Abk. XIII). Bezüglich des Handels mit Waffen und 
Munition hält man dagegen an den Konsequenzen der Verkehrsfreiheit mit 
beiden Kriegsteilen fest (vgl. Art. 7, 8 Abk. V; 7,8 Abk. XIII); die neutralen 
Regierungen verbieten ihren Untertanen diesen Handel nicht; sie beschränken 
sich höchstens darauf, ihre Untertanen darauf aufmerksam zu machen, daß sie 
den Handel mit Kriegskontrebande lediglich auf eigene Gefahr treiben können, 
indem sie sich in Fällen der Zufuhr von verbotener Ware für den einen Kriegs- 
teil den völkerrechtlich anerkannten Gewaltmaßregeln des Gegners aussetzen, 
ohne gegen ihre eigene Regierung den Anspruch auf Schutz und Intervention 
erheben zu können. Die neutralen Regierungen lehnen aber auch gegenüber 
dem verletzten Kriegsteil jede Verantwortung ab. 
Es läßt sich nicht bestreiten, daß das praktische Ergebnis dieses Rechtszustandes dem 
Grundgedanken der Neutralität nicht entspricht und jene Forderungen verleugnet, die mit der 
Existenz der Staatengemeinschaft mit Recht verknüpft werden können. Vergleicht man die 
Gesamtwirkung des heutigen Neutralitätsrechts mit dem Gesamtzustand, in welchen in früheren 
Jahrhunderten Kriege die Verkehr pflegenden Nationen versetzt hatten, so tritt uns zweifellos 
die Funktion des Neutralitätsrechts auch als Mittel möglichst baldiger Wiederherstellung des 
Friedens vor die Augen. (serade die Erkenntnis dieser Funktion der Nentralität lenkt aber 
die Aufmerksamkeit darauf, daß das Maß möglicher Wirksamkeit der Neutralität im Interesse 
des Friedens heute bei weitem noch nicht erreicht ist, denn tatsächlich können unter dem 
Schutz der Verkelirsfreiheit die Machtmittel der Kriegführenden durch den Handel der An- 
gehörigen neutraler Staaten immer von nenem ergänzt und aufgefrischt werden‘) — ein 
Vorgang, der den ökonomischen Interessen einzelner Angehörigen oder größerer Gruppen von 
Angehörigen eines oder einiger neutralen Staaten Nutzen bringen mag, aber gleichzeitig durch 
Verlängerung des Krieges jene tatsächlich mit dem Ausbruch jedes Krieges verknüpften 
schädlichen Wirkungen für die ökonomische Lage der neutralen Staaten in empfindlicher Weise 
steigert. Auf die Dauer können die egoistischen Interessen einzelner den Sieg über ein 
eminent internationales Interesse nicht behaupten. \Wenn dieses internationale Interesse heute 
noch nicht entsprechenden Schutz gefunden hat, so liegt der Grund davon augenscheinlich 
darin, daß das geltende Recht eine Pflicht der neutralen Regierungen zur Verhinderung des 
Handels ihrer Untertanen mit Kriegskontrebande und die Verantwortlichkeit für die nicht 
gehörige Erfüllung dieser Pflicht noch nicht anerkannt hat. Im Schoße des Instituts für 
internationales Recht ist die Frage nenestens Gegenstand der Verhandlung geworden ?); es wurde 
mit Recht die Notwendigkeit der Weiterbildung des Neutralitätsrechts durch völkerrechtliche Re- 
gelung der vorliegenden Materie im Gegensatze zur Konservierung der bisherigen Übung, die doch 
von dem neuen Völkerrecht in wichtigen Punkten (Kaperei, Blokade usw.) bereits modifiziert 
1) Eine bemerkenswerte Äußerung über diese Seite der Frage enthält der Bericht von 
Brusa (Session Venedig — Annuaire XVlIp. 207): „Les bellig@rants, en appelant pour leur 
droits et pr&tentions au terrible hasard des forces militaires, doivent donc demeurer seuls et 
isol&s pour ce qui concerne leur lutte et pendant tout le temps que cette lutte dure. L’isole- 
ment des belligerants a pour terme corr6latif les devoirs des neutres“... 
„La neutralit& et, par cons@quent la defense de la contrebande tiennent &videmment au prin- 
cipe de l’isolement des belligerants.* 
2) Grundlage der Verhandlungen ist die Denkschrift von Kleon: De la contrebande de 
guerre et des transports interdits aux neutres d’apres les principes du dr. intern. contemp. 
(Paris 1893) mit dem Entwurf eines internationalen Reglements. Annuaire XIV p. 34.
	        
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