Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 196. Die Prisengerichtsbarkeit. 537 
  
gebend und zwar möglicherweise in der Art, daß es gar nicht darauf an- 
kommt, ob es mit anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts im Einklang 
steht oder nicht. Allerdings macht eine völkerrechtswidrige Entscheidung den 
Nehmestaat immer verantwortlich; die neutrale Regierung wird pflichtmäßig 
für die Interessen ihrer verletzten Untertanen auf diplomatischem Wege durch 
Reklamation, eventuell durch Repressalien !) eintreten, und Genugtuung und 
Schadenersatz fordern; im übrigen setzt sich der betreffende Staat jedenfalls 
der Retorsion aus. Im ganzen ist jedenfalls davon auszugehen, daß der Zweck 
der prisengerichtlichen Justiz auch den nationalen Gerichten die ge- 
wissenhafte Berücksichtigung anerkannter Völkerrechtssätze auferlegt. — Dem 
gegenüber sichert die neue Einrichtung den Prisensachen außer einer un- 
parteiischen Rechtsprechung auf Grund eines geordneten internationalen Ver- 
fahrens auch eine Rechtsanwendung auf den Tatbestand des einzelnen Streit- 
falls, die den Widerstreit des Urteils mit anerkannten Grundsätzen des Völker- 
rechts ausschließen soll. Art. 7 regelt die letztere Frage in folgender Weise: 
in erster Reihe entscheidet der internationale Vertrag des Nehmestaats und 
derjenigen Macht, die selbst oder von der ein Angehöriger Partei ist, wenn 
die zu entscheidende Rechtsfrage in diesem Vertrage (z. B. in einem Vertrage 
über die als Kontrebande zu behandelnden Gegenstände usw.) vorgesehen ist; 
in Ermangelung solcher Bestimmungen wendet der Prisenhof die Regeln des 
internationalen Rechts an. Da bei der Unvollständigkeit der völkerrechtlichen 
Ordnung des Seekriegsrechts Lücken des anzuwendenden internationalen Rechts 
hervortreten können, ist der Prisenhof auf die allgemeinen Grundsätze 
der Gerechtigkeit und Billigkeit (Art. 7, Abs. 3) verwiesen.?2) Diese 
Bestimmungen des Art. 7 finden auch Anwendung auf die Beweislast und auf 
die Rechtsbehelfe, die vorgebracht werden können. Dagegen hat der Prisen- 
hof Rechtsvorschriften des Nehmestaats anzuwenden, wenn die Anfechtung des 
nationalen Prisenurteils wegen Verletzung einer solchen Rechtsvorschrift des 
Nehmestaats erfolgt. Im übrigen kann der Prisenhof prozessuale Rechtsnach- 
teile, die in der Gesetzgebung des Nehmestaats vorgesehen sind, unbeachtet 
lassen, falls nach seiner Ansicht ihre Folgen der Gerechtigkeit und Billigkeit 
widersprechen. 
I. Nach dem Abkommen ist jede Prisensache in erster Instanz durch ein nationales 
Prisengericht zu entscheiden; die unmittelbare Anrufung des Prisenhofs kann nur dann ein- 
treten, wenn die nationalen Gerichte binnen 2 Jahren nach der Wegnahme keine endgültige 
Entscheidung gefällt haben (Art. 6, Abs. 2). Das nationale Prisenverfahren darf in den der 
Competenz des Prisenhofs zugewiesenen Sachen nur 2 Instanzen haben. Von dem Landesrecht 
hängt es ab, ob der Rekurs an den Prisenhof nach der Entscheidung in der Berufungs- oder 
Revisionsinstanz zulässig ist.?) 
  
1) So griff Preußen 1758 gegen England wegen unbegründeter Verurteilung von 
Schiffen seiner Angehörigen zu Repressalien; England verpflichtete sich im Vertrage von 
Westminster 1756 zur Zahlung einer Entschädigungssumme (20000 £.). 8. weitere Fälle 
bei Geffcken HH IV, 755 ff. 
2) Diese weittragende Befugnis des Prisenhofs vindiziert ihm die wichtige Aufgabe der 
Weiterbildung des Seekriegsrechts im Sinne der Forderung von Recht und Humanität. 
3) Der deutsche Antrag, das nationale Prisenverfahren auf eine Instanz zu beschränken, 
wurde abgelehnt.
	        
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